Epidermolysis bullosa: Praktische Erfahrungen und Therapie
[Abo] Epidermolysis bullosa, im Volksmund Schmetterlingskrankheit genannt, ist eine seltene Hautkrankheit: Nur eines von 20.000 Kindern in Deutschland wird mit ihr geboren. Die Podologin Melanie Roithner teilt ihre praktischen Erfahrungen mit der Hauterkrankung.
Verursacht wird Epidermolysis bullosa (EB) durch eine vererbbare genetische Mutation, die die Verankerung von Ober- und Lederhaut negativ beeinflusst. Die Folgen sind unter anderem Blasen und schwer heilbare Wunden – je nach Subtyp können auch innere Organe betroffen sein.
Behandlung und Therapie
Epidermolysis simplex
Epidermolysis simplex, kurz EB simplex oder EBS, ist der Überbegriff für alle Formen der EB und beschreibt die häufigste, mildeste, nicht vernarbende Form der Erkrankung (Abb. 1a+b). Darüber hinaus gibt es jedoch auch Unterformen mit unterschiedlich schweren Verläufen. Bei diesen sehr seltenen „suprabasalen EBS-Typen“ kommt es zur Zerreißung der Körnerschicht (Stratum granulosum) beziehungsweise zur Lösung des Zellverbundes der Keratinozyten (Akantholyse). Hier sind die Verläufe oft dramatisch, sodass die Bezeichnung EB simplex schlicht irreführend ist.
Die podologische Behandlung von Patientinnen und Patienten mit EB simplex umfasst in der Regel die Nutzung keratolytischer Lösungen zum Auf- und Ablösen von Hornzellen aus der äußersten Hautschicht sowie das Abtragen von Hyperkeratosen mit Skalpell, Pinzette und Hautschere. Etwaige Läsionen können mit einem Rosenfräser geschliffen werden. Außerdem sollten die Nägel begradigt und scharfkantige Stellen entgratet werden. Als Lokaltherapie sollten die Salben angewendet werden, die von der Ärztin oder dem Arzt verschrieben wurden. Bewährt hat sich außerdem die „Bepanthen Wund- und Heilsalbe“. Da jede Berührung schmerzt, sollten die Behandelnden bei der Behandlung der kleinen Patientinnen und Patienten immer äußerste Vorsicht walten lassen. Erklären Sie dazu zunächst liebevoll und kindgerecht, was Sie als nächstens tun. Idealerweise sollten Sie zu diesem Zeitpunkt noch keines der erforderlichen Instrumente in Händen halten.{pborder}
Epidermolysis dystrophica
Eine weitere Ausprägung des Krankheitsbildes ist die Epidermolysis dystrophica, kurz Dystrophe EB oder DEB. „Dystroph“ leitet sich dabei vom altgriechischen „dys-“ für „schlecht“ und „trophein“ für „ernähren“ ab. Wie die Bezeichnung vermuten lässt, haben Betroffene mit DEB mit erheblichen Ernährungsproblemen zu kämpfen. Die Gruppe der DEB wird in Formen mit Läsionen und in Formen mit lokalisierten Veränderungen unterteilt. Die Blasen werden hier in der Dermis (Lederhaut) gebildet.
Abstehende Hautschüppchen entfernte ich bei einer meiner Patientinnen mit DEB (Abb. 2a+b) mit der Hautschere – ohne zu ziehen. Die podologische Behandlung umfasste des Weiteren vorsichtiges Schleifen der Clavi mit dem Rosenfräser. Clavi sind aufgrund von Zehen- und Fußdeformitäten häufig bei DEB zu sehen. Neurovaskuläre Clavi treten dagegen nur in geringerem Maße auf.
Es half der Patientin, bei der Behandlung zuzusehen und etwas Druck gegen meine Hand auszuüben. Vor allem bei Kindern sind Blickkontakt und Gespräche sehr wichtig.
Die podologische Behandlung im Rahmen einer dreiwöchigen Reha (DRV) war erfolgreich. Für die Zeit danach habe ich eine regelmäßige podologische Behandlung am Heimatort empfohlen. Mit schriftlicher Einwilligung darf ich die Mutter kontaktieren, um nach dem podologischen Fortschritt zu fragen.
Hyperkeratosen und Epidermolysis bullosa
Der Nachweis von Hyperkeratose bei EB wurde für alle Subtypen von EB erbracht. EBS geht häufig mit einer leichten bis mittelschweren Hyperkeratose einher, insbesondere an den Fußsohlen. In der EB-Podiatrie wurden 36,8 Prozent der Patient*innen wegen Hyperkeratose behandelt, heißt es etwa in der 2019 erschienenen EB-Leitlinie „Foot care in epidermolysis bullosa: evidence-based guideline“. Dabei definiert Dr. M. Tariq Khan, der die Leitlinien für EB-Betroffene verfasst hat, Hyperkeratose „als harte, verdickte Hautbereiche […], die sich an den Zehenspitzen oder zwischen den Zehen und den Fußsohlen unterhalb der Mittelfußköpfchen befinden. Die Haut ist hart und gelb mit einem Kern aus Keratin, der als Horn bezeichnet wird. Wenn die Haut rötlich ist, ist das Hühnerauge entzündet. Der zentrale Kern des Hühnerauges dringt kegelförmig in das Fleisch ein und tötet alle normalen Zellen ab, die sich ihm in den Weg stellen. Ein Hühnerauge wächst schneller, wenn es ständig am Schuh reibt, da die Reibung eine konstante Blutversorgung des Bereichs gewährleistet. Hyperkeratose und Hühneraugen sind insofern schützend, als sie die Antwort des Körpers auf Reibung und Druck sind“ (Khan 2019).
Die Behandlung von hyperkeratotischen Läsionen und Hühneraugen erfordert einen Besuch in einer podologischen Praxis.
Sonderfall: Neurovaskuläre Hyperkeratose
Die neurovaskuläre Hyperkeratose ist eine Form von Kallus, bei der als Reaktion auf ein Trauma und/oder eine Behandlung Nervenenden und Blutgefäße in der Epidermis hervortreten. Dieser Zustand kann auch bei Patient*innen mit EB (geschätzt 1 %) auftreten. Der fragliche Bereich ist empfindlich, schmerzhaft und schwer zu behandeln, da ein normales Débridement Schmerzen und Blutungen verursacht.
Die Sonderform der Hyperkeratose ist Folge einer langjährigen makroskopischen Hyperkeratose und betrifft in der Regel die Haut über dem Fersenbein sowie dem Hallux. Ein Débridement dieser Läsionen durch eine*n Podolog*in wird ebenfalls empfohlen und kann Linderung bringen. Patientinnen und Patienten sollten jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Behandlung aufgrund der Art der Läsion oft unangenehmer ist als bei einer Standard-Hyperkeratose.
NACHGEFRAGT
Melanie Roithner ist selbstständige Podologin und Fachautorin. Seit über zwei Jahren betreibt sie auf Sylt eine kleine Podologie-Praxis.
Wie kam Melanie Roithner zu der Behandlung ihrer kleinen Patientinnen und Patienten mit der seltenen Erkrankung Epidermolysis bullosa? Wir lassen es die Podologin selbst erzählen.
„Vor einem Jahr fragte mich eine Ärztin der Fachklinik Sylt, ob ich als Podologin auch Kinder und Jugendliche mit EB behandeln würde. Schnell habe ich erkannt, wie tragisch diese Erkrankung für die Betroffenen ist. Denn es sind nicht nur die Füße von dem Gendefekt gestört, sondern der ganze Körper. Die Ausprägung ist sehr verschieden. Die Finger und oder Zehen wachsen zusammen, Zähne fallen aus und innere Organe sind auch betroffen. Die Patientinnen und Patienten leiden zudem unter Schmerzen, da die Wunden oft aufreißen.
Um optimal auf die podologische Behandlung der seltenen Erkrankung vorbereitet zu sein, habe ich unter anderem an einem sehr wertvollen Online-Seminar zum Thema teilgenommen. Der Referent, Dr. M. Tariq Khan, organisiert die Podologie für EB in Großbritannien und hat außerdem die Leitlinien für EB-Betroffene verfasst.“
Hinweise zur Haut- und Wundbehandlung
Eine gute Wundversorgung bei Epidermolysis bullosa fördert die körpereigene Heilung und hilft, Infektionen zu vermeiden. Blasen sollten immer geöffnet, Wunden regelmäßig gereinigt und verbunden werden. Häufig ist eine tägliche Wundversorgung nötig.
Blasen müssen mit einer sterilen Nadel am Rand aufgestochen werden. Das Blasendach sollte dabei stehen bleiben, um die Haut zu schützen. Ansonsten werden die Blase und damit die Wunde immer größer. Eine Fortbildung zur Wundmanagerin oder zum Wundmanager ist hier von Vorteil. Spezielle Wundauflage dürfen Podolog*innen aber auch in der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Ärzt*innen auflegen und unter Aufsicht sogar versorgen.
Um eine Pseudosyndaktylie (Zusammenwachsen der Zehen oder Finger) zu vermeiden, sollte im Anschluss jeder Finger/Zeh einzeln verbunden werden. Es gibt spezielle Verbände dafür, welche die Lebensqualität jedoch stark beeinträchtigen können. So kann der Verband zum Beispiel undicht sein, riechen, sich lösen, verrutschen; ist unbequem oder schnürt ein. Durch den Verband können darüber hinaus Schmerzen und Läsionen entstehen.
Doch auch uns Behandelnde stellt die Versorgung vor einige Herausforderungen. Die Umgebungshaut, Wundgröße, Wundlokalisation, Verwachsungen und Kontrakturen erschweren oftmals die Fixierung an konischen Körperstellen, Gelenken, Händen oder Füßen. Hinzu kommt: Je kleiner die Füße des oder der Betroffenen, umso schwieriger die Versorgung.
Mein Tipp: Arbeiten Sie mit Ihren Patientinnen und Patienten zusammen. Menschen mit EB sind Profis auf ihrem Gebiet. Deshalb sollten Sie ihre Erfahrungen unbedingt beachten und miteinbeziehen.
Patienten-Compliance fördern – mit Kooperation und Einfühlungsvermögen
Aber beachten Sie: Nicht nur die Wunde muss gut versorgt sein, auch der Mensch dahinter. Wie bei jeder podologischen Behandlung ist die Compliance auch bei EB ausschlaggebend für deren Erfolg. Um die – oft sehr jungen – Patientinnen und Patienten dazu zu motivieren, die Behandlung und präventive Maßnahmen aktiv zu unterstützen, bedarf es eines engen Austausches – sowohl mit dem Kind selbst als auch mit den Erziehungsberechtigten. So gilt es unter anderem gemeinsam herauszufinden, wo genau die Ursachen für eine funktionelle Beeinträchtigung liegen.
Als Podologen*innen sind wir mit verantwortlich für die adäquate Beratung der Patientin oder des Patienten. Hierfür sind Gespräche mit der EB-Familie hilfreich, um etwa weiterführende Maßnahmen zu ermitteln oder Hilfsangebote zu finden.
Ebenso wichtig wie die Beratung ist die Überweisung durch eine Ärztin oder einen Arzt zur chirurgischen Korrektur beziehungsweise die Empfehlung durch eine Podologie-Praxis sowie das postoperative Management zur Verhinderung eines erneuten Auftretens und die Förderung der Mobilität.
Die Mobilität steigern
Bewertung und Überwachung der Längsmobilität sind essenziell bei EB, da krankheitsbedingte Faktoren wie Narbenbildung und Kontrakturen diese einschränken können. Um Druckbereiche und Gehmuster zu diagnostizieren sowie die Wirkung von therapeutischen Maßnahmen zu bewerten, können hier unter anderem Ganganalysesysteme zum Einsatz kommen.
Exkurs: Barfußgehen
Wenn ein Kind barfuß oder in Socken gehen kann, können die Füße normal wachsen und die muskulären Gelenke werden gestärkt. Beim Barfußgehen profitiert das Kind von propriozeptivem Feedback.
Bei allen Kindern, nicht nur jenen mit EB, müssen diese Vorteile allerdings gegen das Risiko einer Schädigung der ungeschützten Haut abgewogen werden. Im Außenbereich sollten Kinderfüße daher mit leichtem, flexiblem Schuhwerk aus Naturmaterialien geschützt werden. Der weiche Knorpel im Fuß lässt sich auf diese Weise beim Gehen leicht verbiegen und die Fettgewebeschicht bietet Halt und Stoßdämpfung.
Patientinnen und Patienten mit schwerer EB sollten nicht barfuß gehen, sondern mehrere Schichten Schutzverbände tragen. Besonders zu beachten ist die Länge der Achillessehne, die sich bei Schmerzen beim Gehen und beim Anlegen von Verbänden straffen kann. Die Kostenübernahme muss mit den Krankenkassen geklärt werden.
In Kürze: Podologische Versorgung von Menschen mit Epidermolysis bullosa
Die wichtigsten Elemente der podologischen EB-Behandlung
- Vermeidung von Blasenbildung und Wunden: Von Geburt an sollte ein podologisches Aufklärungsprogramm angeboten werden, das Betreuenden, Patient*innen und Fachpersonal in die Lage versetzt, die Ursachen von Blasenbildung und Wunden zu erkennen und zu vermeiden. Dazu zählen die Themenkomplexe Schuhwerk, Verbände, Biomechanik des Fußes sowie Wärme und Schwitzen.
- Behandlung dystrophischer Nägel: Die podologische Unterstützung kann topische Keratolytika ebenso umfassen wie das Trimmen und Kürzen.
- Beratung zum Schuhwerk: Es sollten Informationen zu geeigneten Schuhen und zur angemessenen Verwendung von stoßdämpfenden Einlegesohlen, Polstermaterialien und Orthesen gegeben werden.
- Beurteilung von Pseudosyndaktylie und Kontrakturen
Weiterführende Informationen
- EB-Leitlinien für die klinische Praxis (in englischer Sprache)
- EB Haus Austria
- Interessengemeinschaft Epidermolysis Bullosa e. V. DEBRA Deutschland
- Khan, M. T. (2019): Foot care in epidermolysis bullosa: evidence-based guideline (in englischer Sprache)
Autorin
Melanie Roithner
Podologin
Herzog-Wilhelm-Straße 97
38667 Bad Harzburg
E-Mail: melanie.roithner@gmail.com
www.podologie.land
Artikel als Pdf herunterladen: