Achillessehnenruptur: Ursachen, Diagnose, Therapien
Bei einer Achillessehnenruptur oder einem Achillessehnenriss handelt es sich um eine gedeckte Durchtrennung der Sehne meistens im mittleren Drittel. Unterschieden wird eine häufiger auftretende vollständige von einer selteneren partiellen Sehnenruptur. Einteilen lassen sich Achillessehnenrupturen wie folgt:
- Proximaler Riss: Hierbei befindet sich die Kontinuitätsdurchtrennung im dreiköpfigen Muskelsehnenübergang (Triceps surae).
- Ruptur im mittleren Drittel der Achillessehne.
- Distaler Riss mit einem kleinen knöchernen Ausriss an der Hinterkante des Fersenbeins (Calcaneus), eine sogenannte Entenschnabelfraktur, welche besonders jüngere Menschen betrifft.
Anatomische Grundlagen
Die Achillessehne (Tendo calcaneus) ist mit einer Länge von etwa 10 bis 12 Zentimetern, einer proximalen Breite von etwa 5 bis 8 Zentimetern und einer Dicke von etwa 0,5 Zentimetern die dickste und stärkste Sehne im menschlichen Körper. Als gemeinsame Sehne des dreiköpfigen Wadenmuskels (Triceps surae), zu dem der Musculus soleus (Schollenmuskel) und der Musculus gastrocnemius (Zwillingsmuskel) mit seinem medialen und lateralen Kopf gehören, setzt sie verdünnt am Fersenbeinhöcker (Tuber calcanei) an. Die Achillessehne ist für ein problemloses Gleiten über den Knochen von einer Sehnenscheide umhüllt.
Ursachen einer Achillessehnenruptur
Mechanismen einer Achillessehnenruptur sind indirekte oder direkte plötzliche Zugeinwirkungen besonders bei einer Vorschädigung der Sehne. Männer sind häufiger betroffen als Frauen – oft zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Meistens reißt die Sehne etwa 2 bis 6 Zentimeter oberhalb am Ansatz des Fersenbeinhöckers in der minder durchbluteten Region, der sogenannten „Achillessehnentaille“, einer mechanischen Schwachstelle.
Zu einem Riss kommt es oftmals beim Sport. Zu 90 Prozent durch Ballspielarten wie Handball, Fußball, Volleyball, Basketball, Tennis, Badminton, Squash und Leichtathletik – vor allem bei abruptem Richtungswechsel oder schnellen Start-Stopp-Bewegungen (Abb. 1). Ferner kann die Sehne bei ungenügender Erwärmung sowie minimalem oder plötzlich beginnendem Training nach einer Sportpause reißen.
Des Weiteren kommen nach dem 60. Lebensjahr bei bereits vorliegender Schädigung der Sehne Risikofaktoren etwa durch Medikamente wie Cortison (bei Asthma oder rheumatoider Arthritis), Immunsuppressiva (Mittel zur Unterdrückung oder Abschwächung der Immunreaktion nach Organtransplantation) aufgrund einer verminderten Stabilität, Antibiotika, physiologische Degeneration der Sehne, rezidivierende chronische Überlastungen, Diabetes mellitus, entzündliche Veränderungen der Sehne und längere Immobilisation der unteren Extremität in Betracht.
Eine Ruptur aufgrund einer offenen Verletzung liegt sehr selten vor. Infrage kommen hier Verletzungen zum Beispiel beim Eisschnelllauf, ausgelöst durch die Kufe des gegenseitigen Schlittschuhs, oder durch den Tritt eines Pferds oder einer Kuh.
Klinische Symptomatik
Bei starker plötzlicher Anspannung der Sehne und Wadenmuskulatur zum Beispiel beim Sport, dem Tritt in ein Loch oder dem Abrutschen von einer Leiter, einem Gerüst, einer Treppe oder Bordsteinkante (Abb. 2a+b) kommt es plötzlich zu einem peitschenartigen, lokal stechend einschießenden Schmerz mit hörbarem Knall und Ausstrahlung in die Wadenregion. Es bestehen Kraft- und Funktionseinschränkungen, sodass eine Geh- und Stehfähigkeit nur noch unter erheblichen Schmerzen oberhalb der Ferse möglich ist. Ein Einbeinzehenstand funktioniert nicht mehr. Als weitere Folge besteht zwischen den Sehnenenden in Höhe der Ruptur eine typische sicht- und tastbare Delle beziehungsweise Lücke und gegebenenfalls ein Bluterguss (Hämatom).
Diagnostik
Eine wichtige Rolle spielen die von der*dem Betroffenen geschilderten Ereignisse bei der Anamneseerhebung.
Als sicheres klinisches Zeichen gilt bei der Inspektion und Palpation eine Delle auf Höhe der Ruptur. Eine Funktionseinschränkung betrifft den nicht mehr ausführbaren Einbeinzehenstand. Des Weiteren erscheint bei einem Achillessehnenriss der Thompson-Test nach Literaturangaben bei Betroffenen zu zwei Drittel positiv. Dabei liegt der*die Patient*in in Bauchlage auf einer Untersuchungsliege mit frei hängenden Füßen. Anschließend komprimiert der*die Ärzt*in die Wadenmuskulatur, wodurch in der Regel eine Beugung des Fußes Richtung Fußsohle (Plantarflexion) ausgelöst wird. Bleibt eine Plantarflexion aus, handelt es sich um einen positiven Thompson-Test und besteht der Verdacht auf eine Achillessehnenruptur (Abb. 3 a + b).
Zum Ausschluss eines knöchernen Ausrisses am Fersenbein (Calcaneus) erfolgt eine seitliche Röntgenaufnahme des Fersenbeins. Bei einem Riss besteht häufig eine Verdichtung im Kager-Dreieck (nach Hans Kager, deutscher Chirurg [1910 – 41]) aufgrund eines Hämatoms (Abb. 4). Dabei handelt es sich um eine dunkelgraue Verschattung des fetthaltigen Gleitkörpers ventral der Achillessehne. Als diagnostische Methode der Wahl kommt Ultraschall (Sonografie) zur Abklärung der Lokalisation der Kontinuitätsunterbrechung und Distanz der Sehnenenden sowie Flüssigkeitsansammlung in der Region in Betracht. Eine dynamische Untersuchung mithilfe einer passiven Plantarflexion des Fußes betrifft die Überprüfung der Sehnenstümpfe und Adaptation (Anpassung der Sehnenenden). Des Weiteren kann eine präoperative Magnetresonanztomografie (MRT) mit Kontrastmittel in Betracht gezogen werden.
Differenzialdiagnostik
Ausgeschlossen werden sollten ein entzündlicher Reizzustand der Achillessehne (Achillodynie), ein Muskelfaserriss im dreiköpfigen Wadenmuskel, eine Entenschnabelfraktur, ein „Tennisleg“ (Muskelverletzung am Übergang der Achillessehne in den medialen Zwillingsmuskel [Musculus gastocnemius medialis]) der Wade, eine Teilruptur der Achillessehne, eine Peronealluxation (Ausrenkung der Peroneussehne [Wadenbeinmuskel] hinter dem Außenknöchel aus der knöchernen Führungsrinne), rheumatoide Arthritis, Haglund-Exostose, Entzündungen der Schleimbeutel (Bursitis subachillae oder praeachillae) und eine Fußbeugeschwäche aufgrund einer Nervenwurzelkompression durch einen Bandscheibenvorfall oder eine Wirbelkanalstenose (Einengung des Wirbelkanals) – ein sogenanntes S1-Syndrom (zwischen dem fünften Lendenwirbel und Kreuzbein [1. Kreuzwirbel]).
Therapie
Unmittelbar nach dem Trauma sollte das PECH-Schema (P = Pause – E = Eis – C = Compression – H = Hochlagerung) angewendet werden und unverzüglich eine Vorstellung bei einem*r Ärzt*in erfolgen.
Eine konservative Therapie kommt vor allem bei Patient*innen mit erhöhten Risikofaktoren wie sehr hohem Alter, Nikotinabusus, peripherer arterieller Durchblutungsstörung (pAVK) sowie bei Menschen mit Diabetes mit bekannten Wundheilungsstörungen oder älteren Menschen mit nicht hohen sportlichen Ansprüchen infrage. Für eine konservative Behandlung wird – unter Berücksichtigung der genannten Risikofaktoren – eine End-zu-Endadaptation der Sehnenenden in Plantarflexion (Beugung des Fußes [ca. 30°] in Spitzfußstellung) unter Sonografie vorausgesetzt. Die Versorgung erfolgt für 6 bis 8 Wochen in einer Unterschenkel-Gehorthese in Spitzfußstellung (anfangs 30°) mithilfe einer Erhöhung im Fersenbereich mit einem Fersenkeil von 3 Zentimetern und einer Teilbelastung von 20 Kilogramm (Abb. 5). Zwischenzeitlich erfolgen sonografische Kontrolluntersuchungen. Ab der 7. Woche wird der Fersenkeil auf einen Zentimeter reduziert bis zur Neutral-O-Stellung (physiologische Stellung in den Sprunggelenken) des Fußes und Vollbelastung.
Krankengymnastische Übungen im Sinne einer frühfunktionellen Therapie fördern die Stabilisierung, Durchblutung und den Muskelaufbau. Leichte sportliche Aktivitäten sind etwa nach 4 Monaten möglich und Leistungssport etwa nach einem halben Jahr. Im ersten postoperativen Jahr sollte für eine sportliche Betätigung eine MalleoTrain-Sprunggelenkbandage mit integriertem Fersenkissen verwendet werden (Abb. 6).
Eine operative Behandlung bei frischer Ruptur der Achillessehne sollte zeitnah, möglichst innerhalb von 2 Wochen nach dem Unfall – unter Berücksichtigung der sportlichen Ansprüche junger aktiver Betroffener oder Leistungssportler*innen – mit einer Primärnaht versorgt werden (Abb. 1).
Indikationen für eine operative Intervention
- fehlende Adaptation der Sehnenenden in 30°-Plantarflexion (Beugung des Fußes) unter bildgebender Sonografie
- Leistungssportler*in
- alte Ruptur nach nicht erfolgreicher konservativer Therapie oder erneutem Riss (Reruptur)
Unterschieden wird ein minimal-invasiver Eingriff von einer offenen Operation: Bei einer minimal-invasiven perkutanen Nahttechnik wird durch kleine Schnitte in die Haut und Spitzfußstellung stärkeres Nahtmaterial in beiden Sehnenenden zur Adaptation für eine notwendige Sehnennaht, verankert – ohne die Rupturstelle zu öffnen.
Eine offene Operation betrifft die Freilegung der gerissenen Sehnenenden, wenn eine End-zu-End-Naht erfolglos erscheint. Hierbei kommt, je nach Gradeinteilung der Ruptur (siehe Kasten S. 32), eine V-Y-Plastik (V-förmige Lappenbildung mit Deckung des Defekts in der Achillessehne mithilfe einer Verschiebung und Y-förmige Fixierung mittels Nähten) infrage. Beträgt der Defekt mehr als 5 Zentimeter, kommen zudem Sehnenersatzplastiken in Betracht. Dafür kann die Sehne des Sohlenspanners (Musculus plantaris longus) oder des kurzen Wadenbeinmuskels (Musculus peroneus brevis) zur Stabilisierung der Achillessehne verwendet werden. Ferner ist eine Umkehrplastik vor allem bei Reruptur oder verspäteter Diagnosestellung möglich. Postoperativ muss eine Thromboseprophylaxe erfolgen.
Bei einer Entenschnabelfraktur ist eine Osteosynthese (Zusammensetzung frakturierter Knochenteile) mithilfe von Schrauben oder Zuggurtung indiziert. Postoperativ ist für 6 Wochen das Tragen einer Unterschenkel-Gehorthese mit reduzierbarem Fersenkeil notwendig.
Die anschließende Nachbehandlung – sowohl nach konservativer als auch nach operativer Versorgung – besteht in einer frühfunktionellen Bewegungstherapie zur Mobilisation der Sprunggelenke und Kräftigung der Wadenmuskulatur zur Erlangung der völligen funktionellen Wiederherstellung der Achillessehne. Zusätzlich ist ein dosiertes Training auf dem Fahrradergometer hilfreich. Bei Ödemneigung kann Lymphdrainage und kurzzeitig ein Unterschenkelkompressionsstrumpf eingesetzt werden. Mit ebenerdigem Lauftraining kann nach 10 bis 12 Wochen postoperativ begonnen werden. Sportfähigkeit besteht nach 4 Monaten; Leistungssport und Wettkämpfe sind frühestens nach 6 Monaten möglich.
Mein Dank für die Aquarelle gilt dem Kunstmaler, Grafiker und Freund Heinrich Bemben aus Neuss.
Autorin
Orthopädin Dr. Renate Wolansky
Luisenstraße 26
06618 Naumburg