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Ermüdungsfrakturen und weitere Krankheitsbilder am Sesambein
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Sesambeine (Os sesamoideum) sind kleine Knochen, die immer in einer Sehne unter einem Knochen und Gelenk eingelagert sind. Der Mensch verfügt über mehrere Sesambeine, wobei die Kniescheibe (Patella) das größte Sesambein darstellt. Hinzu kommen kleinere Sesambeine wie die Fabella, als inkonstantes bohnengroßes Sesambein in der Sehne des lateralen Zwillingsmuskels (Musculus gastrocmemius) gelegen, das Erbsenbein in der Handwurzelregion (Os pisiforme) sowie zwei plantare unterhalb des Köpfchens des I. Mittelfußknochen (I. Os metatarsale) gelegene.
Eine lange Geschichte
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Sesambeine plantar am Großzehengrundgelenk (I. Metatarsophalangealgelenk) sind Mitte des 17. Jahrhunderts bekannt geworden: Bereits 1656 erwähnte der Anatom J. W. Placentini Sesambeine auf seinen anatomischen Tafeln des Fußskeletts. In den weiteren Jahren folgten ausführliche Berichte über Sesambeine am Großzehengrundgelenk. So beschrieb der Anatom A. Gilette 1892 eine ovale Form des medialen und eine runde Form des lateralen Sesambeins am Großzehengrundgelenk.
Mit Erfindung der Röntgentechnik durch den Physiker Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 beschrieb der Anatom Wilhelm Pfitzner als Erster eine anlagebedingte Teilung am Sesambein am Fuß. Ferner diagnostizierte Schunke 1901 eine Fraktur des medialen Sesambeins am Fuß im Röntgenbild. Weitere Autoren thematisierten zu dieser Zeit darüber hinaus die Verknöcherung (Ossifikation) während der Wachstumsperiode bei Mädchen und Jungen.
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Os sesamoideum: Anatomische Grundlagen
In Größe und Form sind die Sesambeine beim Menschen sehr variabel. In der Regel beträgt die Größe des medialen oder tibialen Sesambeins jedoch 10 bis 15 Millimeter; die des lateralen oder fibularen Sesambeins 10 bis 12 Millimeter.
Plantar am Großzehengrundgelenk liegen das mediale und das laterale Sesambein. Die beiden kleinen runden, ovalen bis bohnengroßen platten Knochen sind in der Sehne des kurzen Großzehenbeugers (Musculus flexor hallucis brevis) eingebettet. Der Ursprung des Muskels befindet sich am I. Keilbein (Os cuneiforme mediale), der Ansatz am medialen und lateralen Sesambein. Innerhalb beider Schaltknochen befindet sich die Sehne des langen Großzehenbeugers (Musculus flexor hallucis longus).
Der Abzieher der großen Zehe (Musculus abductor hallucis) setzt zusammen mit dem medialen Kopf des kurzen Großzehenbeugers (Musculus flexor hallucis brevis) am medialen Sesambein und der Großzehenanzieher (Musculus adductor hallucis) mit dem lateralen Kopf des kurzen Großzehenbeugers (Musculus flexor hallucis brevis) am lateralen Sesambein und der Grundphalanx der Großzehe (Hallux) an. Untereinander sind beide Sesambeine mit dem Ligamentum (Band) intersesamoideum und dem Ligamentum metatarseum transversum profundum verbunden.
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Die Sesambeine und ihre Funktion
Sesambeine bewirken durch ihre Einbettung in eine Sehne eine genügende Abstandshaltung zum umliegenden Knochen und Gelenk. Daraus resultiert ein verlängerter und verstärkter Hebel der Sehne. Des Weiteren ist ein geringerer Kraftaufwand für die Bewegung des Knochens notwendig.
Letztlich verhindern die kleinen Knochen, dass die Sehne in der Nähe des sich befindlichen Knochens durch stärkere Druckbelastung beim Gehen, Laufen, Rennen oder Klettern geschädigt wird. Außerdem garantieren ein Fettpolster und eine derbe Fußsohlenhaut einen weiteren wichtigen Schutz vor Druck-, Stauch- und Scherbelastungen am Fuß.
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Ursachen und klinische Symptome einer Sesambeinfraktur
Stressfrakturen, sogenannte Ermüdungs- oder Überlastungsfrakturen, der Sesambeine resultieren vor allem aus wiederholten langanhaltenden Belastungen mit Ermüdung des Knochens durch Wandern, Laufen, Jogging oder Ballspieldisziplinen wie Volleyball, Basketball, Tennis oder Fußball. Ursächlich liegt eine Ermüdung des Knochens aufgrund von sich entwickelnden zunehmenden knöchernen (ossären) Umbauprozessen vor. Ferner kann das Tragen von ungeeigneten Schuhen zu einer Stressfraktur führen. Betroffen ist häufig das mediale Sesambein. Direkte Traumata betreffen Quetschungen, Fehltritt, Überrollung oder Stoß des Vorfußes.
Betroffene Personen geben bei Belastung einen tiefen dumpfen bis stechenden Schmerz unter dem Großzehengrundgelenk an. Typisch ist hier ein lokaler Druckschmerz. Meist sind in dieser Region Rötung und Schwellung sichtbar. Häufig ist das mediale Sesambein gebrochen. Des Weiteren fällt ein hinkender Gang auf. Zur Entlastung wird der Fuß über den Fußaußenrand abgerollt. Temporär kann es zu einer Schmerzlinderung kommen. Allerdings setzen nach anschließender Belastung wieder heftige Schmerzen ein. Bei Stressfrakturen liegt zudem oft ein erhöhtes mediales Längsfußgewölbe vor.
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Differenzialdiagnose
Unspezifische Sesambeinentzündung
Von einer sogenannten Sesamoiditis sind oftmals Tänzer, Marathonläufer oder Jogger betroffen. Ursächlich stehen lokale Durchblutungsstörungen und konstitutionelle Faktoren am Fuß zur Diskussion.
Bei Menschen mit einem Hohlfuß (Pes excavatus) oder bei Verkürzung des dreiköpfigen Wadenmuskels (Musculus triceps surae), bei denen eine verstärkte Vorfußbelastung durch ein erhöhtes mediales Längsfußgewölbe vorliegt, tritt häufiger eine Entzündung der Sesambeine und des umliegenden Gewebes auf. Ferner leiden Patienten mit einem Hallux valgus oder Hallux rigidus eher an einer Entzündung der kleinen Schaltknochen. Folgen sind Schmerzen am Mittelfuß (Metatarsalgie). Des Weiteren kommen als Auslöser statische Veränderungen des Fußes durch permanentes Tragen von High Heels mit dünner Sohle und sehr hohen Absätzen – meist über 10 Zentimeter – in Betracht.
Klinisch besteht unterhalb des Großzehengrundgelenks und der oftmals geröteten und überwärmten Großzehe ein starker Belastungsschmerz beim Stehen, Gehen und Laufen.
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Spezifische Sesambeinentzündung
Auslöser einer spezifischen Sesambeinentzündung sind chronisch entzündliche Grundkrankheiten wie rheumatoide Arthritis, Fußgicht (Podagra), Knochenmarkentzündung (Osteomyelitis) mit Knochenentzündung (Ostitis) und Knochenhautentzündung (Periostitis). Vor allem können Ulzera aufgrund eines diabetischen Fußes mit vorliegender Osteomyelitis eine spezifische Sesambeinentzündung auslösen. Stärker betroffen ist davon in der Regel das etwas unbeweglichere mediale Sesambein.
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Aseptische Knochennekrose
Eine Osteonekrose tritt oftmals am medialen Sesambein auf. Häufiger betroffen sind Frauen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Als Ursache werden Überlastung oder Mikrotraumata angenommen. Betroffene geben akute, stechende Schmerzen unter dem Großzehengrundgelenk an, die sich bei Belastung erheblich verstärken.
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Degenerative Veränderungen der Sesamoide
Schmerzhafte Verschleißerkrankung sind hauptsächlichBegleiterscheinungen bei Vorfußerkrankungen wie Hallux valgus oder Hallux rigidus.
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Anlagebedingtes mehrteilige Sesambein
Nach Literaturangaben kommt bei circa 10 Prozent der Menschen ein zwei- oder mehrgeteiltes Sesambein, ein sogenanntes Sesamoideum partitum, vor. Zu etwa 25 Prozent besteht die Anlage beiderseits. Hiervon ist besonders das mediale Sesambein betroffen. Ein geteiltes laterales Sesambein ist eine Seltenheit.
Bei einem Sesambein mit mehreren Teilen handelt es sich um eine Normvariante, die auf eine fehlende Verschmelzung zum Zeitpunkt der Verknöcherung (Ossifikation) zurückzuführen ist. Nennenswerte Symptome bestehen in der Regel nicht.
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Diagnostik
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Im Vordergrund steht zunächst eine ausführliche Anamneseerhebung, besonders auf stattgefundene Traumata, extreme sportliche Betätigung, bekannte entzündliche Erkrankungen oder weitere Grundkrankheiten. Bei der Inspektion fallen in der Region des Großzehengrundgelenks häufig eine Rötung und Schwellung auf. Mithilfe einer Palpation wird die Großzehe maximal überstreckt (dorsalextendiert) (Abb. 1). Hierbei kommt es zur typischen Schmerzverstärkung. Des Weiteren liegt in der Regel palpatorisch ein erheblicher Druckschmerz unterhalb des I. Metatarsalköpfchens vor.
Röntgenbild vor allem Zysten und Sklerosezonen auf. Typisch ist bei dieser Form oftmals eine markante Knochenauflösung (Osteolyse). Degenerative Veränderungen der Sesamoide erscheinen als Zysten, kleine knöcherne Ausziehungen (Osteophyten) und Sklerose. Aufgrund der auslösenden Großzehenerkrankungen erscheint der Gelenkspalt des Großzehengrundgelenks deutlich verschmälert.
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Therapie einer Sesambeinfraktur
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Die Behandlung richtet sich nach der Ursache und den vorliegenden Grundkrankheiten. Im Vordergrund steht bei allen Erkrankungen der Sesambeine eine Entlastung.
In der akuten Phase kommen Kryotherapie, Hochlagerung des Fußes und zur Schmerzlinderung und Entzündungshemmung NSAR (nicht-steroidales, anti-rheumatisches Mittel) nach Bedarf sowie gegebenenfalls Kortison-Injektionen infrage. Eine Entlastung kann mit einem Vorfußentlastungsschuh für vier bis sechs Wochen versucht werden (Abb. 4). Bei einer Fraktur wird eine Immobilisierung im „Aircast Short Walker“ erreicht (Abb. 5). Die Tragedauer sollte mindestens vier bis sechs Wochen betragen.
Die Vorteile dieser leichten Fußorthese beruhen auf mehreren individuell aufpumpbaren Luftkammern. Die zwei Halbschalen sind mithilfe von Klettverschlüssen dem Volumen des Fußes gut anzupassen und ermöglichen nach Öffnen eine sorgfältige Hautpflege. Um Druckstellen zu vermeiden, ist die Orthese komplett mit Schaumstoff ausgepolstert. Darüber hinaus ist die abriebfreie und rutschfeste Gummiprofilsohle biomechanisch gefertigt, wodurch Stöße und entstehender Druck abgefangen und gedämpft werden.
Nach Ausheilung sind Schuhe mit einer dicken Laufsohle und niedrigem Absatz empfehlenswert. Die Absatzhöhe sollte bei Frauen 4 Zentimeter und bei Männern 3 Zentimeter nicht überschreiten, um eine zusätzliche Vorfußbelastung zu vermeiden. Zur Verbesserung der Abrollphase des Fußes beim Gehen und Laufen ist eine Ballenrolle an der Laufsohle hilfreich. Bei einer verschobenen (dislozierten) Sesambeinfraktur mit großen Fragmenten kann eine Schraubenosteosynthese in Betracht kommen. Hat sich nach einer Fraktur bereits ein Falschgelenk (Pseudarthrose) in den großen Fragmenten entwickelt, kann zusätzlich zur Schraubenosteosynthese eine autologe Spongiosaplastik, also eine Knochenbälkchenplastik vom Betroffenen, erfolgreich sein.
Eine Indikation zur Entfernung der Sesambeine erfordert immer ein strenges und sorgfältiges Abwägen von Vor- und Nachteilen, da je nach Entfernung (Exstirpation) die Mobilität des Fußes bei Belastung eingeschränkt sein kann.
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Autorin
Orthopädin Dr. Renate Wolansky
Luisenstraße 26
06618 Naumburg