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14. Oktober 2016
Redaktion

Feingefühl entwickeln

[Abo] Schülerinnen der staatlich anerkannten Podologieschule Grotstollen in Essen beschäftigten sich im Rahmen einer Projektarbeit mit dem Thema „Arbeiten in einer Wohngemeinschaft für beatmete und wachkomatöse Menschen“. Welche Erfahrungen durften sie dabei sammeln?



Die Thematik der neurologischen Erkrankung Wachkoma, ist im gesetzlichen Curriculum der Podologieausbildung zu finden unter den Begriffen: Spezielle Behandlung bei neuro­logischen Störungen (Punkt 15.3.6. PodAPrV) und spezieller Krankheitslehre (Punkt 7.1.8, 7.1.9 und 7.4). Ein richtiger Umgang mit Menschen, die in ihrem Bewusstsein eingeschränkt sind bringt einige Herausforderungen mit sich. Auf unterschiedlichen Bedürfnissen der Patienten eingehen, Änderungen erkennen und Signale richtig deuten sind nur einige Aufgaben der Podologen. Um einen pflegerischen Umgang mit den wahrnehmungseingeschränkten Menschen zu erlangen, stellten sich die Schülerinnen des Kurses ATZ 14-1 der staatlich anerkannten Podologieschule Grotstollen Essen, Burcu Tasli, Silvia Hannighofer, Stefanie Strachanski und Sandra Ebben in Begleitung der Schulleiterin Anke Schmitz, dieser Herausforderung. Mit dem Projekt „Arbeiten in einer Wohngemeinschaft für beatmete und wachkomatöse Menschen“ sammelten die Schülerinnen über sechs Monate lang praktische Erfahrungen in der ambulanten Wohngemeinschaft Essen. Bei dieser intensiven Arbeit lernten die Schülerinnen, wie ein pflegerischer Umgang mit Menschen im Wachkoma durch eine Zusammenarbeit von hochqualifizierten examinierten Pflegekräften in einer familiären Atmosphäre – transdisziplinär auch mit Podologen – zu einer kontinuierlichen Verbesserung des Wohlbefindens und der körperlichen Unversehrtheit der Patienten beiträgt.

Leben in der Wohngemeinschaft
Gegründet wurde die ambulante Wohngemeinschaft von dem Pflegedienst IntegraCura. Hier werden Menschen, welche beatmungspflege- und intensivpflegebedürftig sind, 24 Sunden rund um die Uhr von Fachpflegepersonen betreut. Neben Gemeinschaftsräumen mietet jeder Patient ein großzügiges Zimmer an, welches der Patient, beziehungsweise seine Angehörigen, nach eigenen Wünschen einrichten können. Das Problem einer sozialen Deprivation wird durch die familiäre Atmosphäre verhindert, so dass Wachkomapatienten aktiv am täglichen Leben teilhaben können. Die hergerichteten Gemeinschaftsräume bieten die Möglichkeit für Familienangehörige jedes Patienten, sich auszutauschen, Zusammenhalt zu stärken und auch Trost zu spenden. So sorgen die Angehörigen für ein positives Klima in der Wohngemeinschaft und stellen den Lebensmittelpunkt für die Patienten dar. Das eigene Zimmer sorgt für einen privaten Rückzugsort. Die Familie schafft somit ein wohnliches Umfeld, welches der Genesung des Patienten zugutekommt. Es darf jedoch nicht in den Hintergrund geraten, dass sich – trotz der familiären Umgebung – jeder Patient in  fachärztlicher Behandlung befindet und auch durch seine Technologieabhängigkeit intensiv rund um die Uhr behandlungspflegerisch betreut werden muss. Diese medizinische Versorgung sorgt für das Zusammentreffen von interdisziplinären Professionen, wie Allgemeinmedizinern, Internisten, Orthopäden, Neurologen, Akupunkteure und in diesem Projekt nun auch Podologen. Die Wohngemeinschaft bietet somit eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Ärzten, dem Pflegepersonal und den Angehörigen. Diese spiegelt sich in den positiven Reaktionen der Patienten wieder. Durch eine auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmte Pflege und Zuwendung, wird deren Lebensqualität nicht nur verbessert, sondern zusätzlich gesichert.  

{pborder}Das Wachkoma
So stimmig wie die Wohngemeinschaft auch ist, so unterschiedlich sind die Bedürfnisse der sechs Patienten. Dieses lernten die Schülerinnen schon vor Beginn ihrer Arbeit innerhalb der Wohngemeinschaft. Denn Wachkomapatienten unterscheiden sich durch sieben Stadien von anderen Patienten. Die in der neurologischen Medizin bekannte „Glasgow coma Scale“, wird in diesem Langzeitpflegebereich nicht mehr angewendet, da diese nur für akute Situationen geeignet ist, jedoch die Menschen im Wachkoma eine differenziertere langfristige Bewertung ihrer Wahrnehmungsmöglichkeit erfahren müssen. Ausgelöst durch eine Hirnschädigung – beispielsweise durch Unfälle, Schlaganfälle und Herzinfarkt – kann ein Wachkoma alle Menschen jeden Alters betreffen. Jeder Patient befindet sich in einer anderen Phase, die von unterschiedlicher Dauer sein kann. Ein Wachkomazustand beschreibt keineswegs nur einen schlafenden emotionslosen Menschen, vielmehr ist es ein Prozess mit verschiedenen Phasen, welche von tiefer Be-wusstlosigkeit bis hin zu einer Phase des Aufwachens andauern kann. Je nachdem in welcher Phase sich ein Patient befindet, reagiert er auch entsprechend auf sein Umfeld. Die Wahrnehmung der positiven Atmosphäre wird durch verzögerte Signale, wie Bewegungen, erhöhte Puls-Atmung (über die Vitalfunktionen), veränderter Blutdruck und Entspannung der Muskeln etc. gezeigt. Neben dieser Bewusstseinseinschränkung hat ein jeder Koma- und Wachkomapatient auch ein emotionales Bewusstsein.

Die praktische Arbeit
Bevor die Schülerinnen der staatlich anerkannten Podologieschule Grotstollen mit ihrer eigentlichen Arbeit beginnen können, steht erstmal das Kennenlernen im Vordergrund. Angehörigen, Patienten und ihrem Pflegepersonal zu begegnen, sowie viele Fragen zu klären und ein positives Klima für die Patienten zu schaffen, stellt die erste Hürde für die Auszubildenden dar. Fleißig stellen sie Fragen zu den Behandlungsorten und den besonderen Vorkehrungen. So klärt sich, dass die Patienten nicht nur in ihrem Bett, sondern auch auf einem Sitzkissen oder im Rollstuhl behandelt werden können. Bei drei Patienten müssen – ausgelöst durch MRSA – besondere Vorkehrungen geschaffen werden. So muss jeder, egal ob behandelnder Arzt, Pflegepersonal, Angehörige oder Podologe, eine entsprechende Schutzkleidung tragen. Diese schützt die Behandelnden vor Krankheiten, Bakterien, Viren und Keime, aber auch den Patienten, der immungeschwächt ist und nicht zusätzlich durch Keime belastet werden soll. Auch dürfen bei diesen Patienten keine Fußpflegeapparate verwendet werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Besonders gespannt sind die Schülerinnen auf die Reaktionen der Patienten. So wird ihnen ein ruhiges bestän­diges Reden nahegelegt und die Wichtigkeit einer Initialberührung erklärt. Diese Initialberührung ist eine Kommunikationsform, um einen kör­per­nahen Dialogaufbau zu übermitteln. Sie verdeutlicht die Anwesenheit und sollte eine Sitzung, sowohl beginnen als auch beenden. Wichtig ist, dass der Patient nicht durch mehrere Anwendungen überfordert werden darf und die Körperberührungen synchron zu den verbalen Beschreibungen passen. So werden alle Behandlungen, beispielsweise von Therapeuten oder Ärzten, einzeln durchgeführt werden. Ebenfalls ist es wichtig, einen Routineablauf für den Patienten zu entwickeln. Um eine Vertrautheit aufzubauen, behandeln immer dieselben Schüler den Patienten.

Die erste Behandlung
Auf die oben genannten Grundsteine baut nun die erste Behandlung auf. Zwei Schülerinnen betreten dabei den Raum. Sie reden ruhig mit dem Patienten und zeigen ihre Anwesenheit durch eine Ini­tialberührung an der Schulter. Mit ruhiger Stimme wird der Arbeitsplatz vorbereitet. Bei jedem Vorgang ist es wichtig, dass der Patient kontinuierlich vor den Arbeitsschritten informiert und aufgeklärt wird, damit auch er ein Teil dieser Behandlung werden kann. Während der Behandlung besteht ein dauerhafter körperlicher Kontakt zum Patienten. Berührungen werden nicht unterbrochen, auch werden durchgehend die ­Arbeitsschritte erklärt. Bei den weiteren Behandlungen lernt der Podologe ein Feingefühl für die Reaktionen des Pa­tienten zu entwickeln. So zeigt sich schon den Schülerinnen während der ersten Behandlung, dass der Patient unter anderem durch Entspannung der Muskeln auf ihre Anwesenheit reagiert. Die kontinuierliche Beobachtung des Patienten (Mimik, Körperhaltung, Körperanspannung, Vitalzeichen usw.) ist als körpersemantisches Konzept ein wesentlicher Bestandteil der ganzheitlichen Behandlung. Durch die Initialbe­rüh­rung schließen die Schüler die Behandlung am Patienten ab.

Von der Unsicherheit zur Routine
Der großen Herausforderung des Wachkomas begegneten die Auszubildenden mit viel Ehrgeiz und Begeisterung. Von der anfänglichen Unsicherheit im Umgang mit den Patienten stellte sich über den Zeitraum des Projekts ein routinierter Ablauf ein. Der Kontakt zu den Angehörigen erleichterte die Arbeit zunehmend. So baute sich ein Rückhalt auf, welcher erheblich zur Sicherheit der Schüler beigetragen hat. Schon nach kürzester Zeit arbeiteten alle mit einem routinierten pflegerischen Verständnis. Sie wussten schnell, um das Wohlbefinden des Patienten. Die körpersemantische Erkennung der einzelnen Signale stellte schon nach kürzester Zeit keine Probleme mehr dar.

Lernerfolg im „Grenzbereich“
Im Allgemeinen brachte das Projekt einen großen Lernerfolg für die angehenden Podologen mit sich. Aus sich heraus zu gehen, dabei Unsicherheiten zu überwinden und sich einer vollkommen neuen Thematik zu stellen, hat sich sehr positiv auf die Schülerinnen ausgewirkt. Für den Umgang mit Patienten, die ebenfalls besondere Bedürfnisse aufweisen, stellte das Projekt „Wachkomapatienten“ eine gute Übung dar. Ein Umgang mit diesen besonderen Patienten ist sicherlich ein Grenzbereich in der Podologie und kein selbstverständlicher Lernstoff für die Ausbildung zum Podologen. Den Menschen mit Bewusstseinseinschränkungen das Leben zu erleichtern, wozu auch ein fachlicher Umgang mit den Problemzonen der Füße gehört, sollte ein Anreiz zur Einführung dieser Thematik sein. Aus dem Projekt zeigte sich deutlich, dass die Schülerinnen bei dem Umgang mit Patienten, die schwerwiegend erkrankt sind, mit einer großen Sicherheit und einer Bestärkung herausgehen. Die Einbettung solch herausfordernder Thematiken kann sich nur positiv auf die angehenden Podologen auswirken. So beherrschen sie nach ihrer Ausbildung ein umfassendes und breit gefächertes Einsatzgebiet, zu dem auch die Arbeit mit Wachkomapatienten gehören kann.

Ausgabe 05/06 2016

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Foto: Eakrin/Adobe Stock
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