Mit Bravour nahmen sich die diesjährigen Gastgeber Dres. Eva und Gregor Hess aus Worms der großen Herausforderung an, die Jahrestagung der AG FUSS als Onlinekongress durchzuführen – mit sieben parallel laufenden Workshops und über 100 Fußbehandlungseinrichtungen, die sich für ihre Zertifizierung online präsentierten.
Um Einblick in die Fußversorgung im gastgebenden Flächenland zu geben, stellte Dr. Sibylle Brunk-Loch, Sprecherin der AG FUSS Rheinland-Pfalz/Saarland in der ADE, das Diabetes Fußnetz Südwest vor. Die Teilnehmer treffen sich trotz weiter Entfernungen regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen. In der AG FUSS RP/Saarland wurde federführend der Schuhverordnungsbogen entwickelt, der die Versorgung nach Risikoklassen in einem Verordnungsbogen darstellt und den Krankenkassen plausibel macht. In der AG FUSS RP/Saarland gibt es auch für Orthopädieschuhmacher (OSM) eine Zertifizierung für die Behandlung des DFS.
Im Vergleich zu den 1990er-Jahren ist in der DFS-Versorgung viel erreicht worden, machte Dr. Brunk-Loch deutlich, gab es doch damals kaum Spezialwissen zum DFS bei Ärzten und OSM und das Berufsbild des Podologen existierte noch nicht. Allerdings sei auch heute noch keine flächendeckende, bundesweite Versorgung in interdisziplinären Fußnetzen gegeben, es mangele an entsprechenden Verträgen mit den Krankenkassen. Es gebe zu wenig spezialisierte Fußchirurgen und Angiologen, zudem brechen die konservative stationäre Versorgung und die Diabetologie zunehmend weg. Umso wichtiger sei es, weiter am Aufbau interdisziplinärer Fußnetzwerke zu arbeiten.{pborder}
Hybrid-Operationen in der Gefäßchirurgie
Jeder sechste Diabetespatient bekommt ein Fußulkus, 25 Prozent von ihnen werden im Laufe ihres Lebens amputiert. Bei seinen Patienten liege in den meisten Fällen eine diabetische Polyneuropathie (PNP) vor und in über 50 Prozent eine relevante periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), berichtete Prof. Gerhard Rümenapf, Oberrheinisches Gefäßzentrum Speyer. „Die Gefäßmedizin kommt erst zum Einsatz, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, erklärte er. Denn die Entstehung eines Ulkus habe mit der Durchblutungssituation nichts zu tun, sondern mit der PNP und repetitiver Drucküberlastung. Wenn das Ulkus erst einmal da sei, sei es jedoch entscheidend wichtig, die Durchblutungssituation zu überprüfen, da die Behandlung bei einer schlechten Durchblutung nicht erfolgreich sein könne.
Durch eine gute Revaskularisation könne man rund 90 Prozent der diabetischen Fußprobleme so behandeln, dass nicht amputiert werden muss, so Rümenapf. Das schaffe man aber nur mit Strukturen eines spezialisierten Gefäßzentrums oder Fußnetzes – mit spezialisierter Gefäßchirurgie, Diabetologie, Angiologie, Radiologie, Dyalysepraxis, kooperativer Anästhesie, Orthopädie(schuh)technik und Podologie.
Die Revaskularisation beim DFS sollte schnell von zentral nach peripher erfolgen, erklärte der Referent. Weniger sei oft mehr, sodass man es zunächst endovaskulär mit Ballonkathetern versuchen solle. Wenn das nicht ausreiche, seien sogenannte Hybrideingriffe angeraten, bei denen offen-chirurgische und endovaskuläre Methoden kombiniert werden.
Die Bypasschirurgie solle erst dann zum Einsatz kommen, wenn gar nichts anderes mehr funktioniert. Venenbypässe würden allerdings unübertroffen gute Ergebnisse erzielen und nach fünf Jahren noch zu über 60 Prozent halten, der Beinerhalt liege nach fünf Jahren bei rund 80 Prozent, sagte Prof. Rümenapf.
Die Angioplastie (Aufdehnung von Blutgefäßen) sei wesentlich weniger nachhaltig als Bypässe, dafür jedoch leicht wiederholbar. Sie haben eine geringe Komplikationsrate und Mortalität sowie eine technische Erfolgsrate von über 95 Prozent, erklärte er.
Viele DFS-Patienten haben jedoch nicht nur Verschlussprozesse in den Unterschenkel-Schlagadern, sondern auch im Bereich des Oberschenkels und des Beckens. Zu einer dann erforderlichen „multilevel reconstruction“ seien Hybridoperationen weitaus weniger risikoreich als Bypassoperationen.
Als Alternative zum Hybrideingriff stellte Rümenapf den Kombinationseingriff vor, bei dem innerhalb einer Sitzung verschiedene Operationen durchgeführt werden, beispielsweise eine Revaskularisation, Debridement und Minoramputation. Wenn doch eine offene Operation an einer Stelle nötig sei, könne man zum Hybrideingriff wechseln.
Hybrid- und Kombinationseingriffe haben ein breites Behandlungsspektrum und wenig Komplikationen, seien aber für Kliniken nicht immer kosteneffektiv. Beim neuroischämischen DFS könne man damit jedoch die besten Behandlungsergebnisse erzielen.
Positive Entwicklung der Keimzahlen und Resistenzen
Wundinfektionen stellen, vor allem im Zusammenhang mit einer pAVK, das häufigste Amputationsrisiko dar, erklärte Dr. Dirk Schulze, Diabetologikum Pirmasens. Er hat sich die Auswertung von Daten zur Aufgabe gemacht, die zertifizierte Fußbehandlungseinrichtungen aus der ADE Rheinland-Pfalz seit 2007 erhoben haben. Es handelt sich um die bisher größte fortlaufende Erhebung zur Keimbesiedlung beim DFS.
In 14 Jahren wurden 40.525 Keime bei 18.934 Fällen gefunden. Wie Dr. Schulze berichtete, findet sich beim infizierten DFS ein typisches Cluster relevanter Erreger. In den letzten Jahren sei ein kontinuierlicher Rückgang des Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) sowie des Methicillin-sensitiven Staphylococcus aureus (MSSA) zu beobachten. Die Resistenz des MRSA habe sich zuletzt leicht zum Günstigen verändert.
Pseudomonas aeruginosa sei leicht rückläufig. In zirka 80 Prozent der Fälle seien bestimmte Antibiotika in den letzten Jahren hier wieder wirksam. Die Anzahl der KNS (koagulasenegative Staphylokokken), die bei Implantaten, Kathetern oder Narben gefährlich werden können, blieb gering. Allerdings gibt es hier relativ häufig multiple Resistenzen.
ESBL-Bildner und MRGN (multiresistente gramnegative Bakterien) nahmen vorübergehend leicht zu, waren zuletzt aber wieder rückläufig. Auf Antibiotika scheinen sie jedoch nur gering anzusprechen, so Dr. Schulze. CDAD seien deutlich rückläufig und nur noch in einzelnen Kliniken nachweisbar.
Der vor rund zehn Jahren zu beobachtende Trend eines Anstiegs von Problemkeimen scheint somit rückläufig zu sein. „Das liegt daran, dass wir die Antibiotikatherapie geändert haben“, betonte der Referent. Auf einige Antibiotika habe man in den letzten Jahren weitgehend verzichtet oder sie kürzer eingesetzt. Vor allem aber behandele man inzwischen gezielter die Bakterien-Cluster, die tiefe Wundinfektionen verursachen.
Über den Wissensstand, der noch vor 30 Jahren zu Infektionen am DFS geherrscht habe, sei man heute deutlich hinaus, bestätigte auch Dr. Peter Walger, Bonn. Damals habe man Ischämie und Gangrän für die Hauptursache von diabetischen Fußinfektionen gehalten und sei davon ausgegangen, dass die Patienten mit einer Infektion stationär mit einem Breitspektrum-Antibiotika behandelt werden müssen. Man habe geglaubt, dass schwere Infektionen, die nicht auf die Therapie ansprechen, eine Amputation der unteren Extremität erfordern.
Anhand der Leitlinien der International Working Group on the Diabetic Foot (IWGDF) und aktueller Studien stellte Dr. Walger dar, wie differenziert inzwischen diagnostiziert und mit Antibiotika therapiert werden kann.
Chirurgische Interventionen beim diabetischen Fußinfekt
Je mehr Internisten einen Großteil der Arbeit am DFS übernehmen, desto mehr scheint die Chirurgie an Stellenwert bei Interventionen am DFS zu verlieren. Doch stimmt das wirklich?, fragte Dr. Claudia Fischer, Köln. Sie ist überzeugt, dass die Chirurgie nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Behandlung des DFS spielt. Auch die Leitlinien der IWGDF sehen eine hohe Evidenz darin, dass bei schwerwiegenden Fußinfektionen Chirurgen hinzuzuziehen sind.
„Wir sind aber nicht nur die Feuerwehr für schwere Infektionen, sondern wir arbeiten zusammen mit anderen Fachdisziplinen auch an geringgradig infizierten Füßen“, so Dr. Fischer. Dabei müsse es um „konservative“ Chirurgie im Sinne einer extremitätenerhaltenden Chirurgie gehen. Zunächst gelte es, die Infektion in den Griff zu bekommen. Dazu muss der Chirurg avitales, nekrotisches Gewebe entfernen. Erst nach einer antibiotischen Therapie und Ruhigstellung der Extremität könne man den weiteren Verlauf beurteilen und entscheiden, welche Teile des Fußes erhalten werden können.
Dann sei es entscheidend wichtig, dass der Chirurg die biomechanischen Ursachen erkennt, die zu der Läsion geführt haben, und diese beseitigt. Dr. Fischer veranschaulichte, dass es für die verschiedenen Läsionen und Fehlstellungen chirurgische Entlastungsmaßnahmen gibt, die weitgehend mit minimalinvasiven Eingriffen duchgeführt werden können. Die dadurch erzielte sofortige Entlastung und die minimalinvasive Strategie führe zu einem schnelleren und nachhaltigeren Wundschluss.
Tetanus-Impfstatus beachten
Bei Patienten mit DFS sollte man unbedingt auf einen Tetanus-Impfschutz achten, erklärte Dr. Thomas Werner, Diabeteszentrum Bad Lauterberg. Auch über geringfügige Wunden kann Clostridium tetani, das im Erdreich und Fäzes von Pferden und anderen Tieren vorkommt, unter die Haut gelangen. Unter anaeroben Bedingungen an der Eintrittsstelle vermehrt es sich. Seine Toxine binden sich an Neurone und können entlang der peripheren Nerven bis zum ZNS wandern. Die Erkrankung äußert sich in neurologischen Störungen, die durch einen erhöhten Muskeltonus und tonische Krämpfe gekennzeichnet sind. Die Sterblichkeit liegt bei einer modernen Intensivtherapie bei 10 bis 20 Prozent.
Die Wunde muss schnellstmöglich chirurgisch versorgt werden; Medikamente sind begrenzt wirksam. Zur Erhaltung der Vitalfunktion und Entspannung der Muskulatur wird eine Intensivtherapie eingeleitet.
Bei geringfügigen, sauberen Wunden genügt es, wenn die letzte Impfung weniger als zehn Jahre zurückliegt. Bei allen anderen Wunden – und somit auch bei Fußulcera – sollte der Impfschutz mindestens alle fünf Jahre erneuert werden, betonte Dr. Werner. Dass darauf häufig nicht genug geachtet wird, machte eine Auswertung der Daten von 100 stationären DFS-Patienten deutlich. Nur bei 21 Prozent bestand ein nachgewiesener Tetanus-Impfschutz, bei 37 Prozent gab es keinen und bei 42 Prozent war der Impfstatus nicht dokumentiert.
Fersenläsionen in der interdisziplinären Behandlung
„Fersenläsionen können den Fußchirurgen zur Verzweiflung treiben, man will sie am liebsten gar nicht behandeln“, eröffnete Dr. Armin Koller, Hamburg, humorvoll seinen Vortrag. Operativ behandelt werden müssen sie, wenn eine Entlastung mit konservativen Mitteln nicht erreicht werden kann, zum Beispiel, wenn ein Hackenfuß nach einer Achillessehnenruptur vorliegt.
Allerdings gebe es auch Grenzen der operativen Therapie, etwa bei alten, multimorbiden Patienten. Hier könne es besser sein, trockene Fersennekrosen nicht mehr zu beseitigen, da man sonst eine Wunde habe, die möglicherweise nie wieder zuheilt und eine Eintrittspforte für Keime sein kann.
Eine relevante pAVK könne nahezu alle fußerhaltenden Eingriffe scheitern lassen – eine Fersenläsion im Wagner-/Amstrong-Stadium 3D führe regelmäßig zu Majoramputationen, erklärte Dr. Koller. Eine plastische Deckung sei bei pAVK nur eingeschränkt möglich. Man könne versuchen, eine Defektdeckung durch knöcherne Resektionen zu erreichen. Das könne aber auch heißen, dass man größere Teile des Fersenbeines entfernen muss.
Bei rein neuropathischen Ulcera müsse man unterscheiden, ob eine Knochenbeteiligung vorliegt oder nicht. Wenn nicht, könne man mit einer aggressiven Druckentlastung und plastisch-chirurgischen Maßnahmen einiges erreichen. Allerdings, gab Dr. Koller zu bedenken, können freie Lappenplastiken nicht zu Erfolg führen, wenn ein pathologischer Knochenvorsprung damit bedeckt wird.
Bei Knochenbeteiligung greife man zu sparsam resezierenden Verfahren, eventuell unterstützt durch eine lokale Antibiotikatherapie. Bei Fersenbeinfrakturen strebe man eine Reposition an.
Bei Calcaneus-Osteomyelitis habe er sehr gute Erfahrungen mit dem resorbierbaren Knochenersatzmaterial Cerament-G (mit Gentamicin) gemacht. Dr. Koller warnte davor, das häufig empfohlene Antibiotikum Clindamycin als primäres Antibiotikum beim DFS anzusehen, da es aus seiner Sicht nicht dem typischen Keimspektrum bei Osteomyelitis begegnet. Vielmehr müsse man Keimproben entnehmen, um eine gezielte Therapie einleiten zukönnen.
Bei Fersenläsionen sei es sehr hilfreich, den Fuß in einem Fixateure externe in Spitzfußstellung einzustellen, sodass man eine spannungsfreie Wundnaht machen kann. Der Fuß könne bestmöglich entlastet werden, da der Patient damit nicht laufen kann.
Wie Dr. Koller erklärte, gibt es viele Möglichkeiten, die Wundheilung zu verbessern, etwa durch eine primäre Naht, Vakuumversiegelung, Lappen- und Dehnungstechniken. Insbesondere die Beseitigung der Ursache der nicht-heilenden Wunde (Infektion, Deformität oder Osteomyelitis) sei wichtig.
„Ideales Offloading betrifft alle Kräfte, die auf die Wunde einwirken“, resümierte Dr. Armin Koller seine Ausführungen zur Therapie von Fersenläsionen. „Druck, Zugspannung und Scherkräfte. Dann schaffen wir es, auch vertrackte Fälle in den Griff zu kriegen.“
Die postoperativen Entlastungsmöglichkeiten stellten OMM Frank Leipold, Hamm (RP), und OSM Siegfried Kramp, Dillingen, dar. Fersenläsionen seien nicht einfach zu versorgen, erklärte Kramp, da hier hohe Kräfte wirken und eine Entlastung schwierig zu erreichen sei. Verbandschuhe seien oft nicht ausreichend. Hinzu komme die Schwierigkeit, dass PNP-Patienten nicht spüren, ob sie ihre Ferse schonend aufsetzen. Ziel der Therapie müsse sein, die Liegedauer der Patienten in den Kliniken zu verringern, eine frühe Mobilisation bei konsequenter Entlastung zu bieten und einen zeitnahen Übergang auf das nächste Hilfsmittel (z. B. von der Orthese zum Schuh) zu ermöglichen.
Frank Leipold veranschaulichte, wie individuell Entlastungsorthesen gefertigt werden und gab Fallbeispiele für erfolgreiche Versorgungen. Siegfried Kramp zeigte auf, wie die Entlastung konsequent im Schuh weitergeführt werden kann, indem Materialien und Versteifungselemente eine ähnliche Funktion wie Teile der Orthese übernehmen. Er betonte zudem, dass aus seiner Sicht kein Fertigfußbett solch eine individuelle, passgenaue Druckumverteilung bieten kann wie eine Diabetesadaptierte Fußbettung.
Bei der Schuhversorgung sei es besonders wichtig, auf einen passgenauen Sitz an der Ferse zu achten, um Scherkräften entgegenzuwirken. Ein dämpfender Absatz mit einer weichen Zwischenschicht, ein guter Halt auf dem Fußrücken mittels Schnürung oder Klettverschlüssen und eine geeignete Abrollung über die Sohle seien ebenfalls wichtige Faktoren zur Entlastung der Fersenregion.
2022 soll die 30. Jahrestagung der AG FUSS in Bonn stattfinden.
Artikel als PDF herunterladen:
Autorin: Annette Switala