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17. Mai 2017
Dr. Christian Roggenbuck
Krankheitsbild

Osteoporose – eine Krankheit im Wandel der Zeit

Kaum ein orthopädisches Krankheitsbild hat in den letzten Jahren einen derart starken Wandel in ihrem Verständnis erfahren, wie die Osteoporose. Orthopäde Dr. Christian Roggenbuck schildert, welche Wirkungen dies für Diagnostik und Therapie hat.
Bild: James Heilman, MD (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/ by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons)
1 Der Blick auf die Osteoprose hat sich im Laufe der Jahre verändert

Während die Osteoporose lange Zeit ein Mauerblümchendasein führte und nicht so recht zwischen Innere Medizin und Orthopädie einzuordnen war, gibt es nun – auch aufgrund der gestiegenen sozialmedizinischen Bedeutung – ein vermehrtes Interesse am Krankheitsbild, was zur Schaffung des „Fachgebietes Osteologie“ geführt hat. Die Osteologie beschäftigt sich mit den Erkrankungen der Knochen und besonders der Osteoporose. Der Dachverband Osteologie e.V. (kurz DVO) ist die Vereinigung aller deutschsprachigen wissenschaftlichen Gesellschaften für Osteologie. Der DVO hat die Ausbildung der Osteologen übernommen.

Definitionen aus verschiedenen Zeiträumen

Foto: Fotolia.de
2 Knochenstruktur im 3-D-Modell.

Die Osteoporose ist kein nosologisch einheitliches Krankheitsbild. Es handelt sich vielmehr um einen Symptomkomplex beziehungsweise Syndrom mit multifaktorieller Genese. So gibt es viele Definitionen der Osteoporose. Auch in diesen spiegelt sich das veränderte Verständnis für Osteoporose wider.

Noch im Jahr 1994 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre ­Definition sehr stark an die Knochendichtemessung orientiert. Danach liegt eine Osteoporose vor, wenn der ­Knochenmineralgehalt in einer DXA-Knochendichtemessung an der Lenden­wirbel­säule und/oder am proximalen Femur um < –2,5 Standardabweichungen vom Mittelwert einer 20- bis 29-jährigen Frau abweicht. Diese Standardabweichung wird als T-Score bezeichnet.

Im Jahr 2001 hat das „National Institutes of Health Consensus Development Panel on Osteoporosis“ folgende Definition der Osteoporose formuliert: Die Osteoporose ist eine systemische Ske-letterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes charakterisiert ist. Daraus folgt eine gesteigerte Knochenbrüchigkeit.

Im Jahr 2014 hat dann der Dachverband für Osteologie in seinen Leitlinien die Osteoporose wie folgt definiert: „Die Osteoporose ist eine systemische Ske-letterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes charakterisiert ist, mit ­einem konsekutiven Anstieg der Knochenfragilität und der Neigung zu Frakturen. Sind bereits Frakturen als Folge der Osteoporose aufgetreten, liegt eine manifeste Osteoporose vor.“ Diese drei Definitionen verdeutlichen den Wandel im Verständnis der Osteoporose.

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Von der „Frauenkrankheit“ zur Alterskrankheit

Vor zirka 30 Jahren wurde die Osteoporose als Erkrankung verstanden, die fast ausschließlich Frauen nach der Menopause trifft. Eine Osteoporose des Mannes kannte man praktisch nicht. Heute sind in Deutschland rund 6,3 Millionen Menschen an einer Osteoporose erkrankt und über 300000 Frakturen pro Jahr Folge einer Osteoporose. Zusätzlich bleiben Zweidrittel aller osteoporotischen Frakturen unerkannt. Diese Zahlen rechtfertigen es, von einer Volkskrankheit zu sprechen. Auch wenn die Prävalenz bei Frauen immer noch deutlich höher ist als bei Männern, weiß man heute, dass beide Geschlechter betroffen sein können. Dabei werden – trotz der intensiven Forschung – nur zirka 30 Prozent der Osteoporosepatienten Leitliniengerecht behandelt. Osteoporose wird auch als eine Alters-krankheit bezeichnet, da nicht der Verlust von Muskelkraft, sondern auch der Knochenschwund als Teil des Alterungsprozesses anzusehen ist.

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3 Im Laufe der Zeit nimmt bei Osteoporosepatienten die Knochdichte und -festigkeit ab. Die Frakturgefahr wächst.

Knochen leben – ein Blick auf ein Organ

Früher wurde der Knochen als fast ­leblose Substanz angesehen, der nur im Fall der Frakturheilung aktiv wurde. Heute weiß man, dass der Knochen ein metabolisch hochaktives Organ ist, das lebenslangen Umbauprozessen unterliegt.

Dass der Knochen nicht völlig leblos ist, hat bereits 1892 Julius Wolff erkannt. In seinem Gesetz der Transformation der Knochen beschreibt er die Fähigkeit des Knochens sich – wie ja auch der Muskel – an Belastungen anpassen zu können. Wolff beschrieb, dass durch Belastung der Knochen sich aufbaut und an Festigkeit zunimmt. Der Knochen kann folglich seine Form der Funktion anpassen. Erkennbar wird dies zum Beispiel an der Ausrichtung der Knochentrabekel am proximalen Femur in Richtung der mechanischen Kräfte.

Einen weiteren Schritt zum Verständnis dieser Fähigkeit des Knochens tat 1960 Harold Frost mit seiner Beschreibung des auf dem Mechanostat-Modell basierenden „Utah-Paradigma“. Hierbei geht es um die Umwandlung mechanischer in zelluläre Signale – also um die Mechanotransduktion am Knochen. Tatsächlich können Muskelkräfte den Knochen verformen. Die Knochenzellen registrieren die Verformungen und Knochenwachstum sowie Knochenabbau werden durch die maximale elastische Verformung des Knochens gesteuert. Frost beschrieb vier Bereiche der elastischen Verformung des Knochens (Strain), die zu bestimmten Veränderungen führen (siehe Tab. 1.)

Man unterscheidet am Knochen die Spongiosa, ein Gerüst aus feinen Knochenbälkchen im inneren des Knochens, die die Zug- und Druckfestigkeit sichert und die an der Außenfläche des Knochens befindliche Kortikalis. Der Umbau des Knochens erfolgt durch einen koordinierten Auf- und Abbau an dem die resorbierend wirkenden Osteoklasten und die neubildenden Osteoblas-ten beteiligt sind. Gesteuert werden die Umbauprozesse durch zentralnervöse Faktoren, durch mechanische Stimula-tion sowie verschiedene Hormone, Vitamine und Zytokine.

Ein zentraler Faktor im Regulations-system sind die Östrogene. Ab dem 30. Lebensjahr nimmt Knochenmasse kontinuierlich ab. Schon durch diesen Knochenmassenverlust erhöht sich das Risiko für Frakturen. Bei der Osteoporose verändern sich Geometrie und Masse der Knochenstruktur wodurch die Fes­tigkeit des Knochens abnimmt. Die erhöhte Bruchgefahr bei der Osteoporose ist Folge von Geometrieveränderungen des Knochens.

Ab dem 70. Lebensjahr kommt es zudem zum Abbau von Spongiosa und Kortikalis bei Mann und Frau – mit der Folge eines erhöhten Frakturrisikos.

Bei Frauen kommt es zusätzlich nach der Menopause durch Östrogenmangel zu einem erheblichen Verlust des spongiösen Knochens und damit zur postmenopausalen Osteoporose.

Durch den Abfall des Östrogenspiegels nach der Menopause kommt es zu einer vermehrten Osteoklastenaktivität und einem Knochenmasseverlust von ein bis fünf Prozent pro Jahr, der überwiegend den spongiösen Knochen betrifft.

Disuse:
Strain < circa 800 µStrain
Knochenmasse und Knochenfestigkeit wird abgebaut.
Adapted State:
Strain zwischen ca. 800 µStrain und ca. 1500 µStrain
Strain zwischen ca. 800 µStrain und ca. 1500 µStrain
Overload:
Strain > circa 1500 µStrain
Knochenmasse und Knochenfestigkeit wird vergrößert
Fracture:
Strain > circa 15.000 µStrain (Bruchgrenze)
Der Knochen bricht.

Tab. 1 Das Utah-Paradigma nach Harold Forst: Er hat zwischen maximaler physiologischer Verformung (2000 bis 3000 Strain) und Bruchgrenze (circa 15 000 Strain) einen Sicherheitspuffer gelassen und andererseits durch den beschriebenen Mechanismus dafür Sorge getragen, dass die Knochenfestigkeit an die Maximalkraft angepasst werden kann. So besteht unter physiologischen Bedingungen ein linearer Zusammenhang zwischen Muskelquerschnittsfläche und Knochenquerschnittsfläche.

Verschiedene Aspekte der Osteoporose

Das große Kriterium ist die Unterteilung in primäre und sekundäre Osteoporose:

Primäre Osteoporose

  • Postmenopausale Osteoporose (Typ 1): Nur Frauen können sie bekommen.
  • Senile Osteoporose (Typ 2): Auftreten ab dem 7. Lebensjahrzehnt, ­geschlechtsunabhängig.
  • Juvenile Osteoporose: Auftreten ­zwischen acht und zwölf Jahren, ­geschlechtsunabhängig.

Sekundäre Osteoporose

  • Medikamentös verursacht durch ­Glucocorticoide, Thyroxin, Trijod­thyronin, Heparin, Schleifendiure­tika, Tamoxifen.
  • Endokrin verursacht durch Morbus Cushing, Hypogonadismus, Hyperthyreose, Hyperparathyreoidismus.
  • Metabolisch verursacht durch ­Diabetes mellitus, Homocystinurie, Malassimilationssyndrome.
  • Biomechanisch verursacht durch ­Immobilisation und Lähmungen.
  • Immunologisch verursacht durch Rheumatoide Arthritis, M. Bechterew SLE.
  • Sonstige Verursacher.

Fünf Säulen der Diagnostik

Wie aus der WHO-Definition aus dem Jahr 1994 abzulesen ist, war die Messung der Knochendichte lange Zeit das fast ausschließliche Diagnosekriterium. Dies ist heute nicht mehr so.

Ein wichtiges Ziel der Diagnostik ist festzustellen, ob es sich um eine primäre oder sekundäre Osteoporose handelt, um dann bei einer sekundären Osteoporose zuerst die Grunderkrankung zu behandeln.

1. Anamnese

Erfragen von Risikofaktoren einer primären Osteoporose und von Grund-erkrankungen, die eine sekundäre Osteoporose verursachen können. Erhebung der Schmerzanamnese. Frage nach einer Größenabnahme (> 4 cm)

2. Klinische Untersuchung

Messung von Größe und Gewicht (zur Ermittlung des BMI). Erhebung des Muskel- und Gelenkstatus. Untersuchung der Wirbelsäule unter Beachtung von Osteoporose-typischen Veränderungen an der Wirbelsäule (Hyperkyphose der BWS, Tannenbaumphänomen, etc.), Osteoporose-Bäuchlein (Vorbeugung des Bauches), Beurteilung der Lungenfunktion.

3. Laboruntersuchungen

Blutbild / BSG / CRP / Serumeiweißelektrophorese / Serum-Kalzium / Serum-Phosphat (Serumnatrium fakultativ) / Kreatinin / alkalische Phosphatase / Gamma-GT / TSH / als Einzelfallentscheidung: 25-Hydroxyvitamin D3, Testo­steron bei Männern fakultativ, Knochenumbaumarker als Einzel­fallentscheidung.

4. Bildgebende Verfahren

Die bildgebende Diagnostik beinhaltet einerseits Röntgenaufnahmen der BWS und LWS. Die ­Suche nach unentdeckten Frakturen gilt als eine wichtige Grenzlinie im Verlauf und ist wichtiger Prä­diktor weiterer Frakturen. Gleichwertig wird auch die Knochenmineraldichte gemessen. Die DXA-Messung (dual energy) ist hier das gängige Verfahren. Mit ihr wird eigentlich die Flächendichte als Surrogat für die Knochenmasse bestimmt und als BMD (Bone Mineral Densisty) bezeichnet. Das Ergebnis wird als Standardabweichung in Bezug auf eine junge Referenzbevölkerung angegeben und als T-Wert bezeichnet. Die DXA-Messung hat eine geringe Strahlenbelastung und erfolgt an LWS und Schenkelhals.

5. Sturzrisikodiagnostik

Befragung zur Einschätzung des Sturzrisikos, Abklärung von Geh- und Balancestörungen, Medikamentenanamnese.

Foto: Prof. Rainer Bartl, www.osteoporose-deutschland.d
4 DXA-Knochendichtemessung.

Therapieziele und -möglichkeiten

Klinisch relevanter Endpunkt der Osteoporose ist die Fraktur. Obers­tes Therapieziel ist deshalb die Frakturverhinderung. Die DVO-Leitlinie empfiehlt eine Therapie mit folgenden fünf Elementen:

1. Ernährung

Ausreichende Kalorienzufuhr (BMI >20), kalziumreich, phosphatarm, reich an Vitamin B12 und Vitamin D3.

2. Medikamente

(s. u.)

3. Bewegung/Physiotherapie

Muskelaufbau, Training von Koordination und Balance.

4. Sturzprävention

Beachtung des häuslichen Umfeldes (Stolperfallen!) und einer guten Sehfähigkeit.

5. Operative Therapie

Gegebenenfalls Kyphoplastie, Vertebroplastie, Schrauben- oder Stabosteosynthese.

Medikamentöse Therapie

Ziel der medikamentösen Behandlung ist die Verhinderung von Frakturen. Bezogen auf das Wirkprinzip gibt es zwei Medikamentengruppen. Die eine Gruppe verhindert den Knochenabbau (antiresorptives Wirkprinzip) und die andere stimuliert den Knochenaufbau (osteoanaboles Wirkprinzip).

Zur Behandlung der Osteoporose stehen folgende fünf Medikamenten­typen zur Verfügung: Bisphosphonate, SERMs, Strontiumranelat, Parathormon und Denusomab.

Vor dem Einsatz dieser Medikamente steht die Basistherapie, die aus der Gabe von Vitamin D3 und Calcium besteht. Zur Prophylaxe einer Osteoporose reicht die Gabe von 800 bis 1000 I.E. Vitamin D3 und Calcium 1000 mg. Die Behandlung mit Bisphosphonaten oders SERMS muss mit Vitamin D3 und Calcium supplementiert werden.

Prävention – was ist möglich?

Bisphosphonate

Bisphosphonate sind die am häufigsten verordneten Osteoporose-Medika­men­te. Die Wirkung besteht in einer Osteoklastenhemmung. Sie stehen als Tabletten (tägliche, wöchentliche oder monat­liche Einnahme) und als Injektions- oder Infusionslösung zur Verfügung.

SERMs

SERMs (Selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren) sind keine Hormone, imitieren aber die positiven Wirkungen des Östrogens am Knochen – also die Osteoklastenhemmung. Interessant ist, dass das Raloxifen vor einer bestimmten Form des Brustkrebses schützen kann.

Strontiumranelat

Strontium wird als dem Calcium ähnliche Substanz in den Knochen eingebaut. Es regt die Osteoblasten an und hemmt die Osteoklasten.

Parathormon

Parathormon steigert die Anzahl und die Leistung der Osteoblasten und regt so den Knochenstoffwechsel an. Hierdurch kann neuer Knochen aufgebaut werden.

Denosumab

Denosumab beinhaltet als Wirkstoff den Antikörper RANKL, der in den Regelkreis des Knochenstoffwechsels eingreift. Dieser Antikörper hemmt einen Botenstoff, ohne den die Osteoklasten nicht arbeiten können

Es gibt noch weitere Medikamente, die jedoch nicht first-line eingesetzt werden. Hierzu gehören:

  • Vitamin-D-Derivate mit antiresorptiver Wirkung;
  • Kalzitonin, ein Hormon aus der Nebenschilddrüse. Es hat neben seiner antiresorptiven auch eine schmerzlindernde Wirkung.

Was ist zu tun?

Da die Osteoporose altersassoziiert ist, ist aufgrund der Bevölkerungsentwicklung mit einer steigenden Inzidenz zu rechnen. Diese Entwicklung kann nicht nur mit einer Intensivierung der medikamentösen Behandlung beantwortet werden.

Wichtig ist die Prävention durch Lebens­stiländerungen. Das Sturzrisiko hängt stark von der Muskelleistung ab. Der altersbedingte Muskelabbau führt auch zu einer Verringerung der Knochenfestigkeit, da diese einerseits hormonell beeinflusst wird aber auch durch habituelle muskuläre Kraftspitzen. Bei älteren Menschen kann ein geeignetes Krafttraining die Muskelkraft und die Knochenmasse verbessern. Untersuchungen zeigten, dass das Training mit Vibrationsplatten besonders wirkungsvoll ist. «

Anschrift des Verfassers
Dr. Christian Roggenbuck
Orthopädisches Zentrum Wilmersdorf
Hohenzollerndamm 197
10717 Berlin

Foto: Eakrin/Adobe Stock
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