Podologie ist keine Einbahnstraße
Ich höre schon die Begründung: „Meine Patienten kommen doch gar nicht mehr an ihre Füße“. Oder: „Meine Patienten sehen nicht mehr gut, das ist doch gefährlich, wenn die selbst was machen“. Alles richtig – und auch wieder falsch.
Selbst jemand ohne Arme benötigt nicht unbedingt einen Podologen. Warum? Wenn kein Fußproblem vorliegt, braucht es eine pflegerische Dienstleistung, keine Therapie. Auch eine Person, die nichts mehr kann, muss in der Verantwortung für die eigene Gesundheit bleiben. Aber wie erreichen wir das, wenn der einzige „aktive“ Anteil das Eincremen zu Hause ist? Immerhin steht in der Leistungsbeschreibung „Die regelmäßige Unterweisung zur sachgerechten eigenständigen Durchführung der Fuß-, Haut- und Nagelpflege gehören ebenfalls zur Podologischen Therapie.“ (Anlage 1a, Punkt 2, Seite 4)
Leitet hier irgendjemand seine Patienten zum Nägelschneiden an – und lässt sie es dann auch tun? Ich finde, zwei Dinge fördern einander: Die Verordnung von PKB auf Lebenszeit und die passive Therapie ohne zwingendes „Mitmachen“ der Patient*innen.
Beides logisch: Neuropathie ist nicht reversibel, weshalb der Zustand ständig in Schach gehalten werden muss. Und wie soll Nagelbearbeitung und Hornhautabtragung sonst gehen, außer passiv? Wir schneiden schließlich nicht gemeinsam die Hochzeitstorte an. Dennoch führt beides zu einem Teufelskreis, der die Rollen, Rechte und Pflichten der Beteiligten schleichend verschiebt.
Es ist die Pflicht der Patientin, sich Ratschläge anzuhören und diese anzuwenden.
Das hat eine meiner Auszubildenden gerade erlebt. Bei der Druckschutz-Beratung sagt die Patientin: „Ach, das kenne ich alles und will es nicht mehr hören. Wenn meine Zehen mich stören, lasse ich die operieren, da brauche ich Ihren Druckschutz nicht. Machen Sie mir einfach nur die Füße.“
Ich finde, solche Sätze lassen sich nicht mit einem Schulterzucken abtun. Auch Zynismus à la „so ist das echte Leben halt“ ist nicht angebracht. Nein! Dieses Verhalten ist nicht in Ordnung.
Es ist erlaubt, höflich, aber bestimmt darauf hinzuweisen, dass es die Pflicht der angehenden Podologin ist, auf Entlastungsmöglichkeiten hinzuweisen. Ebenso wie die Pflicht der Patientin, sich Ratschläge anzuhören und diese anzuwenden. Punkt. Dafür finanzieren wir als Solidargemeinschaft notwendige Behandlungen (ein fairer Deal), oder – nach wiederholter „Abmahnung“ – eben nicht. Therapieplätze sind kostbar.
In der Physiotherapie habe ich ähnliche Szenen erlebt. Da waren Therapiepausen und „erzwungene“ Therapeutenwechsel ein gutes Gegen-, aber eben auch kein Allheilmittel.
Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich meine Fuß-Patienten wie eine Physiotherapeutin „fit machen“ würde. Ab dem zweiten Termin wird angeleitet: „Zeigen Sie mir doch mal, wie Sie Ihre Nägel schneiden? Na, das üben wir nächstes Mal noch einmal!“
Sie sehen, ich habe auch keine Lösung. Fällt Ihnen etwas ein? Sagen Sie mir gerne Bescheid.
Ihre Anja Stoffel