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28. Juni 2023
Redaktion
Versorgungs-Report

Umsetzung medizinischer Leitlinien ist defizitär

In vielen Fällen dauert es sehr lange, bis evidenzbasierte Behandlungsempfehlungen aus medizinischen Leitlinien tatsächlich in der Praxis ankommen und die Versorgung der Patient*innen flächendeckend verbessern. Das zeigt der Versorgungs-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Beratungsgespräch
Foto: WavebreakmediaMicro/Adobe Stock

„Unsere Bilanz zur Leitlinien-Umsetzung in der Praxis fällt sehr gemischt aus“, sagt Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung beim WIdO. So zeigen die Auswertungen auf Basis von AOK-Routinedaten, dass Patientinnen und Patienten nach einem Herzinfarkt meist die in den Leitlinien vorgesehenen Medikamente wie Statine oder Blutverdünner erhalten.

Aber es sind auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern erkennbar: „Frauen sind schlechter versorgt als Männer. Sie erhalten deutlich seltener die angezeigten invasiven Therapieverfahren. Bei älteren Frauen ab 80 Jahren liegt die Behandlungsrate fast zehn Prozent niedriger als bei Männern des gleichen Alters“, sagt Günster.

Restless-Legs-Syndrom: Zu häufiger Einsatz von riskanten Arzneien

Auch bei der Behandlung des Restless-Legs-Syndroms gibt es laut Versorgungs-Report deutliche Defizite in der Umsetzung der Therapieempfehlungen: „In der aktuellen Leitlinie wird die Behandlung mit dem Medikament Levodopa aufgrund von hohen Risiken nicht mehr empfohlen. Unsere Analyse zeigt, dass etwa ein Viertel der diagnostizierten Patientinnen und Patienten trotzdem noch eine Dauertherapie mit diesem Mittel erhalten. 30 Prozent aus dieser Gruppe wurden sogar länger als zwei Jahre damit therapiert“, erklärt Günster.

Möglicherweise betrieben viele Patientinnen und Patienten zudem „Ärztehopping“, um an das Mittel heranzukommen. „Hier gibt es noch viel zu tun, um eine leitliniengerechte Arzneimittel-Therapie zu erreichen.“

Der Versorgungs-Report enthält auch Beispiele, in denen neue Leitlinien-Empfehlungen relativ schnell ihre Wirkung entfaltet haben. So gibt es seit 2016 eine Negativ-Empfehlung zu Kontroll-Koronarangiographien nach Erweiterungen der Herzkranzgefäße mit einem Ballonkatheter (PCI). Der routinemäßige diagnostische Herzkatheter wird nicht mehr empfohlen, wenn nicht zu erwarten ist, dass daraus auch eine therapeutische Konsequenz folgt.

„Hier hat die Empfehlung offenbar zu einem Umsteuern geführt. Seit Veröffentlichung der neuen Empfehlungen kam es zu einem deutlichen Rückgang bei den betreffenden Kontroll-Koronarangiographien“, betont Günster.

Medizinische Fachgesellschaften sehen Handlungsbedarf

Die für die Erstellung und Verbreitung der Leitlinien verantwortliche Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) sieht großen Handlungsbedarf bei der besseren Implementierung von medizinischen Leitlinien in die Praxis: „Die Fachgesellschaften verfolgen dazu verschiedene Ansätze wie die Bereitstellung der Leitlinien in unterschiedlichen Formaten, die bessere Information und Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte, aber auch die Implementierung der Leitlinien in Qualitätsmanagement-Systeme wie bei den zertifizierten Zentren oder die Integration in Versorgungsmodelle wie die Disease-Management-Programme der gesetzlichen Krankenkassen“, sagt Dr. med. Monika Nothacker, stellvertretende Leiterin des Instituts für Medizinisches Wissensmanagement des AWMF und Mitherausgeberin des Versorgungs-Reports.

Auch die digitale Unterstützung der Ärztinnen und Ärzte könne sehr sinnvoll sein. Das AWMF-Leitlinienregister enthält etwa 850 Leitlinien von mehr als 100 federführenden Fachgesellschaften.

 

Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK

Quellen
  • Günster, C., Klauber, J., Klemperer, D., Nothacker, M., Robra, B.-P. and Schmuker, C., 2023. Versorgungs-Report Leitlinien: Evidenz für die Praxis. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. DOI: https://doi.org/10.32745/9783954668007
Quellen
  • Günster, C., Klauber, J., Klemperer, D., Nothacker, M., Robra, B.-P. and Schmuker, C., 2023. Versorgungs-Report Leitlinien: Evidenz für die Praxis. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. DOI: https://doi.org/10.32745/9783954668007
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