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14. Oktober 2016
Redaktion

Welche Rolle spielt das Kahnbein bei der biomechanischen Fußuntersuchung?

Die Funktion des Kahnbeins (Os naviculare) sollte mehr Beachtung bei der Befunderstellung des Fußes finden, meint Klaus Grünewald. Aber warum?
Foto: Klaus Grünewald

Das Kahnbein spielt eine bedeutende Rolle im gesamten Rückfuß – zum Beispiel bei der Bewegung des Sprungbeins (Talus) und der Ferse (Calcaneus). Dass die Lage des Kahnbeins von den Bewegungen der Rückfuß­knochens beeinflusst wird, ergibt sich durch die gelenkigen Verbindungen des Sprung- und Fersenbeins (Talo-calcaneare-Verbindung) sowie des Sprung- und Kahnbeins (Talo-naviculare-Verbindung). Dies bildet für den Bewegungsablauf (Kinematik) des Fußes eine Schlüsselrolle. Die Lage des Kahnbeins kann deshalb als Indikator für die Pronation (Senkung des Fußinnenrandes) beziehungsweise Supination (Hebung des Fuß­innenrandes) im Bereich des Rück- und Mittelfußes angesehen werden. Die Einbeziehung des Kahnbeins in die Fußuntersuchung ist noch relativ neu. Sie wurde zuerst von Daniel M. Brody (USA) 1982 in einem Artikel über Sportverletzungen erwähnt [1]. Mittlerweile beschreibt die Literatur verschiedene Verfahren, um die Lageveränderung des Kahnbeins am Fuß messbar zu machen.

Die Messung der Lageveränderung des Kahnbeins

Die Lageveränderung des Kahnbeins (in der Sagittal-Ebene) lässt sich relativ einfach bestimmen. Als Referenzpunkt für die Messungen dient der Kahnbein-Knochenvorsprung (Tuberositas ossis navicularis). Er wird mit der Hand ertas-tet und mit einem Filzstift markiert. Der Patient steht, sein unteres Sprunggelenk wird in Neutralstellung gebracht und die Höhe der Markierung an dem Knochenvorsprung auf eine Karte übertragen. Anschließend – in entspannter Stellung des Fußes – wird die Absenkung des Kahnbeins auf die gleiche Karte unterhalb der 1. Markierung gesetzt. Der Abstand beider Striche auf der Karte wird mit einem Lineal ausgemessen und ergibt den Wert für die Absenkung des Kahnbeins. Seine Absenkung zum Boden hin lässt sich auch ohne die Kartenmarkierungen nur mit dem Lineal allein messen. Die Reihenfolge bleibt dabei die gleiche: Lage der Kahnbeinmarkierung bei Neutralstellung des unteren Sprunggelenks (Subtalar-Gelenks / STG) abzüglich des Abstandes der Markierung vom Boden bei entspannter Fersenstellung. Bei beiden Messvorgängen steht der Patient.Die Reihenfolge der Messung ist dabei egal – zum Beispiel zuerst die entspannte Fußposition und danach die Messung mit neutralen STG. (Abb. 2a+b, 3)Um Markierungen am Fuß leichter einzeichnen zu können ist ein Podium (Abb. 4) empfehlenswert. Die zuvor beschriebene Methode wurde als Grundlage für die klinische und wissenschaftliche Bestimmung der Kahnbein-Absenkung herangezogen. Einige ermittelte Werte für die Kahnbein-Absenkung sind in der Tabelle 1 angegeben. Sie gelten als Maß für die Pronation – der Absenkung des inneren (medialen) Fußrandes. Es fällt auf, dass eine Absenkung über 10 Millimeter oft bei Patienten festgestellt wurde, die eine deutliche Prona­tion aufwiesen. Der Durchschnitt der (normalen) Kahnbein-Absenkung lag bei sechs Millimeter. Dieser Wert wurde nur dann unterschritten, wenn die Supinatoren des Fußes (z. B. Musculus tibialis posterior) sich deutlich kräftiger als die übrige Muskulatur zeigten. Hier wurden Werte von nur zirka fünf Millimeter Absenkung gemessen. Ein bislang noch nicht berücksichtigter Einflussfaktor in Bezug auf normale beziehungsweise anormale Werte ist die Fußlänge. Eine Kahnbein-Absenkung von 15 Millimeter stellte sich demnach für einen kleinen Fuß als sehr hoch, für einen großen Fuß optisch relativ unbedeutend dar [2]. Entscheidend werden in diesem Zusammenhang letztendlich die Beschwerden des Patienten sein. Die Bestimmung von Normalwerten sollen Orientierungswerte darstellen. Wie zuvor erwähnt ist die Ausgangsstellung für die Ermittlung der Kahnbein-Absenkung die Neutralstellung des unteren Sprunggelenks (Subtalar-Gelenks / STG). Viele Therapeuten unterstützen die manuelle Palpation des Talar-Kopfes (Sprungbeinkopfes), um die Neutralstellung des STG zu ermitteln. Um dafür ein reproduzierbares Ergebnis zu erhalten, ist aber die Kenntnis über die Lage der Fußknochen – durch Abtasten des Fußes, durch Hilfslinien und Orientierungspunkte am Fuß – zu üben. Ohne Erfahrung werden bei wiederholten Messungen große Unterschiede bei ein und demselben Patienten festzustellen sein. In einigen Fällen (z. B. durch Ödeme) kann die Palpation des Talarkopfes (Sprungbeinkopfes) erschwert sein. Hier lassen auch andere Methoden, zum Beispiel die Beurteilung der Hautvertiefungen ober- und unterhalb der Malleolen (Fußknöchel des Unterschenkels) die Bestimmung der STG-Neutralstellung nicht zu. Eine zuverlässige Untersuchung der Kahnbein-Absenkung ist dann nicht möglich.

Klinische Bedeutung

Eine übermäßige Absenkung des Kahnbeins (Os naviculare) wurde hauptsächlich bei den Patienten beobachtet, die über Beschwerden im Unterschenkel klagen. Schmerzen entlang der inneren (medialen) Unterschenkelseite können durch Überlastung des hinteren Schienbeinmuskels (Musculus tibialis posterior) entstehen, der seiner Bedeutung als Supinator (Heber des medialen Fußrandes) nicht mehr gerecht wird. Betroffen sind meist Sportler (Läufer, Tänzer, Fußballer ….), die bei Aktivitäten unter erheblichen muskulären  Schmerzen leiden, im Ruhezustand aber nahezu beschwerdefrei sind. Aber auch andere Ursachen, die ein Absenken des Kahnbeins verursachen, können infrage kommen. Dies sind die Kontraktur der oberflächigen Wadenmuskulatur (Musculus triceps surae) oder eine Beinlängendifferenz, wobei der Fuß des längeren Beins proniert und eine Absenkung des Kahnbeins zeigt. Manche Autoren [3] weisen darauf hin, dass die Messung der Kahnbeinposition mehr Informationen über die Funktion des Fußes während der Gangphasen liefern kann als die Bestimmung des Vorfuß-Rückfußverhältnisses zur Ermittlung der Chopart-Gelenk-Stellung. Dies gilt für die Fälle, bei denen sich das Kahnbein mehr senkt als die Ferse (Calcaneus). Deshalb ist die Untersuchung bei einer Absenkung des Kahnbeins auch für solche Patienten zu empfehlen, die mit Überlastungssymptomen des Fußes (z.B. bei schwacher, plantarer, kurzer Fußmuskulatur) zu tun haben. Ein positiver Test für eine anormale Absenkung des Kahnbeins könnte auch für die Entscheidung hilfreich sein, ob der Patient eine Orthose benötigt. Wie bei allen Testverfahren sollte das Ergebnis mit Sorgfalt und fachlicher Qualifikation interpretiert werden. Auch der Irrtum kann bei noch so sorgfältiger Anwendung der Untersuchungsmethoden nie ausgeschlossen werden. Diesbezüglich ist zu empfehlen, Aussagen mit anderen biomechanischen Untersuchungsmethoden zu vergleichen beziehungsweise mit ergänzenden Untersuchungsschritten abzusichern.

Literatur
  • [1] D.M. Brody: “Techniques in the evaluation and treatment of the injured runner”, Orthopedic clinics of North America 1982; 13(3); 541 – 558
  • [2] S.C. Morrison, B.R. Durward, G.F. Watt, M.D.C. Donaldson: “A literature review evaluating the role of the navicular in the clinical and scientific examination of the foot”, British Journal of Podiatry; 11 2004; Vol 7 Nr. 4
  • [3] D.L. Headly, J.L. Leonard, J.M. Hart, C.D. Ingersoll, J. Hertel “Fatigue of the plantar intrinsic foot muscles increases navicular drop” Journal of Electromyografy and ­Kinesiology 2008; 18: 420-425

Die Abbildungen im Text sind zum Teil ent­nommen aus: Klaus Grünewald, ­„Theorie der medizinischen ­Fußbehandlung, Band 3 – Podologische Biomechanik“,
Verlag Neuer Merkur, München (2014) ISBN: 978-3-95409-013-6

Literatur
  • [1] D.M. Brody: “Techniques in the evaluation and treatment of the injured runner”, Orthopedic clinics of North America 1982; 13(3); 541 – 558
  • [2] S.C. Morrison, B.R. Durward, G.F. Watt, M.D.C. Donaldson: “A literature review evaluating the role of the navicular in the clinical and scientific examination of the foot”, British Journal of Podiatry; 11 2004; Vol 7 Nr. 4
  • [3] D.L. Headly, J.L. Leonard, J.M. Hart, C.D. Ingersoll, J. Hertel “Fatigue of the plantar intrinsic foot muscles increases navicular drop” Journal of Electromyografy and ­Kinesiology 2008; 18: 420-425

Die Abbildungen im Text sind zum Teil ent­nommen aus: Klaus Grünewald, ­„Theorie der medizinischen ­Fußbehandlung, Band 3 – Podologische Biomechanik“,
Verlag Neuer Merkur, München (2014) ISBN: 978-3-95409-013-6

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