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23. Januar 2018
Dr. Christian Roggenbuck
Nervenkompressionssyndrome

Die Peroneusparese und ein Winkel aus Heidelberg

Die Peroneusparese ist ein häufig auftretendes Nervenkompressionssyndrom an den unteren Extremitäten, mit dem man deshalb in einer Podologiepraxis konfrontiert werden kann. Orthopäde Dr. Christian Roggenbuck stellt sie vor.
Zeichnung: Jasmin El Helo
1 Orthese Heidelberger Winkel

Die Peroneusparese ist eine „Lähmung“, der verschiedene Ursachen zugrunde liegen können. Häufig ist sie Ausdruck eines Nervenkompressionssyndroms. Das bekannteste ist sicherlich das Karpaltunnelsyndrom am Handgelenk. Es tritt jedoch meist ohne das klinische Bild einer Muskellähmung auf. In der Orthopädie existieren noch zahlreiche weitere Nervenkompressionssyndrome, die mit Paresen im Bereich der Extremitäten einhergehen. An den oberen Extremitäten gibt es zum Beispiel die sogenannte „Parkbank-Lähmung“, die durch Druck auf den N. radialis zu einer Lähmung der Handextensoren führt. Hier zeigt sich das klinische Bild der sogenannten „Fallhand“. Auch ein zu enger Oberarmgips, eine Fraktur des Oberarmschaftes oder ein Lagerungsfehler bei operativen Eingriffen in der Narkose können Ursache für eine „Fallhand“ sein.

Anatomische Grundlagen

Da Nervenkompressionssyndrome ein mechanisches Problem sind, soll zuerst die anatomische Situation dargestellt werden. Der Nervus peroneus communis (Nervus fibularis communis) entspringt aus den Wurzeln L4-S2 und verläuft als Nervus ischiadicus (also Ischiasnerv) am Oberschenkel. Oberhalb der Kniekehle teilt er sich in zwei Hauptäste, den Nervus fibularis communis (Nervus Peroneus communis) und den Nervus tibialis. Diese beiden Äste enthalten motorische und sensible Anteile. Der Nervus fibularis communis läuft dann seitlich am Knie vorbei und umfährt das Fibulaköpfchen (Wadenbeinkopf) von hinten. Hier teilt er sich in den Nervus fibularis superficialis (Nervus peroneus superficialis) und den Nervus fibularis profundus (Nervus peroneus profundus) (siehe Tab. 1).

Diese Stelle hinter dem Fibulaköpfchen ist die Prädeliktionsstelle (Prädilektion = Vorliebe) für die Kompression des Nervs, da er hier sehr dicht unter der Hautoberfläche verläuft. Der tiefe Anteil – also der N. fibularis profundus – tritt dort in den M. peroneus longus ein.

Beim Nervensystem unterscheidet man zwischen sensiblen Nerven, die Empfindungen aus der Umwelt zum Gehirn leiten und motorischen Nerven, die Impulse des Gehirns an die Muskulatur übermitteln.

Bei der sensiblen Versorgung ist die Differenzierung einfach. Während der N. peroneus superficialis die Haut im ersten Interdigitalraum versorgt, um-fasst das Versorgungsgebiet des N. peroneus profundus die Haut am lateralen Unterschenkel und Fußrücken.

Motorisch werden die Mm. peronei vom tiefen Ast aus dem N. peroneus profundus versorgt. Der oberflächliche Ast, also der N. peroneus superficialis, versorgt den Musculus tibialis anterior, Musculus extensor hallucis longus, Musculus extensor hallucis brevis, Musculus extensor digitorum longus, Musculus extensor digitorum brevis und den Musculus fibularis tertius.

Zeichnung: Jasmin El Helo
2 Verlauf und Aufteilung des N. ischiadicus am Bein
Zeichnung: Jasmin El Helo
3 Verlauf des N. peroneus communis im Bereich des Fibulaköpfchens

Symptomatik und klinisches Bild

Der Ausfall des N. peroneus führt zu einer Parese der Fuß- und Zehenheber, was zum sogenannten „Steppergang“ führt. Häufig setzt der Fuß beim Auftreten nicht mit der Ferse zuerst auf, sondern mit dem Vorderfuß oder der gesamten Fußsohle. Ein natürliches Abrollen des Fußes und Vorschwingen des Beines ist bei Fußheberschwäche nicht mehr möglich. Durch die Schwäche beim Heben der Fußspitze muss das Hüft- und Kniegelenk des Spielbeines vermehrt angehoben werden. Weiterhin kann der Fuß nur noch in geringem Maße proniert werden.

Zudem kann es zu leichten Sensibilitätsstörungen am Vorfuß kommen.

Ursachen der Peroneusparese

Im Wesentlichen sind folgende drei Ursachen:

  • Mechanisch: Druck;
  • Iatrogen: Interventionen durch den Arzt;
  • Chemisch: Toxine.

Die akute Schädigung des N. peroneus erfolgt – wie schon beschrieben – am häufigsten durch mechanischen Druck im Bereich des Fibulaköpfchens. Ursächlich kommen langes Knien oder Sitzen mit übereinandergeschlagenen Beinen infrage. Dies führt dazu, dass der Nerv gedehnt und gegen das Fibulaköpfchen gedrückt wird.

Iatrogen gibt es Schädigungen im Rahmen von Behandlungen. Ein falsch ­angelegter Unterschenkel-Gipsverband kann den N. peroneus schädigen. Auch ein Lagerungsfehler bei bewusstlosen Patienten (auch im Rahmen von Operationen) kann Ursache sein, indem durch die Außendrehung des Beines Druck auf das Fibulaköpfchen ausgeübt wird.

Die sogenannte „Tourniquetlähmung” ist eine weitere Möglichkeit der iatrogenen Peroneuslähmung. Die Anwendung eines Tourniquet-Abbindesystems erfolgt bei Operationen an den Extremitäten um in Blutsperre oder -leere unter optimalen Sichtbedingungen operieren zu können. Dazu wird eine Blutdruckmanschette mit einem über dem arteriellen Blutdruckwert liegenden Druck (meist 300 mmHg) aufgeblasen. Die Tourniquet-Zeit darf maximal zwei Stunden betragen. Für die Tourniquetlähmung ist typisch, dass distal der Manschette alle Nerven und Muskeln in unterschiedlicher Intensität betroffen sind. So kann es auch zu einer Peroneusschädigung kommen.

Eine weitere Möglichkeit einer iatrogenen Schädigung ist eine Ischiadicuslähmung infolge einer intraglutealen Injektion – also eine Spritze in den Gesäßmuskel. Hierbei spielen mechanische wie chemische Faktoren eine Rolle. Wenn der Hauptstamm des N. ischiadicus betroffen ist, führt dies zu einer Lähmung der Kniebeuger sowie der von N. tibialis und N. peroneus versorgten Muskeln. In vielen Fällen ist aber bei einer Läsion des Hauptstamms nur der peroneale Anteil des N. ischiadicus vom Funktionsverlust betroffen. Häufig treten Ausfälle oder Schmerzen erst nach über 24 Stunden nach der Injektion auf.

Eine Polyneuropathie ist ein Beispiel für eine nicht druckbedingte Ursache, die häufig durch Sensibilitätsstörungen und Schmerzen in Erscheinung tritt. Typisch ist hier zum Beispiel das „Burning-Feet-Syndrom“ der diabetischen Poly-neuropathie. In ganz schweren Fällen können auch bei einer Polyneuropathie Lähmungen wie bei einer Peroneusparese auftreten.

Toxische Ursachen für ausgeprägte Polyneuropathien waren zum Beispiel Anfang der 1970er-Jahre das Schnüffeln von Pattex-Verdünner, wie es vor allem im damaligen West-Berlin üblich war. Außerdem fand sich ein neurologisches Bild, welches einer Landry-Paralyse mit progredienten aufsteigenden symmetrisch angeordneten Paresen ähnelte und meist an den unteren Extremitäten zu finden war. Sensible Störungen fanden sich dabei selten. In den USA gab es nach Exposition mit n-Hexan das Krankheitsbild der sogenannten „glue-sniffing neuropathy“. Dabei konnten Nervenschädigungen und Lähmungs­erscheinungen auftreten.

Zeichnung: Jasmin El Helo
4 Der Steppergang ist durch einen herabhängenden Fuß beim Laufen gekennzeichnet. Alternative Bezeichnungen sind auch Hahnentritt oder Storchengang

Diagnostik

Die Diagnose ist primär mit Hilfe der Anamnese und der körperlichen Untersuchung zu stellen.

An apparativer Diagnostik stehen elektrophysiologische Untersuchungen wie die Elektroneurographie (ENG) und Elektromyografie (EMG) zur Verfügung. Das ENG bietet die Möglichkeit einer Frühdiagnostik durch Nachweis einer Leitungsverzögerung durch mechanische Läsion der Myelinscheide, der schützenden Hülle der Nervenfasern. Die EMG dient eher zur Beurteilung der Prognose bei einer Schädigung des Axons, dem Fortsatz einer Nervenzelle, der elektrische Nervenimpulse von der Zelle nach außen leitet.

Differenzialdiagnose

An wichtigen Differenzialdiagnosen sind folgende drei Krankheitsbilder zu nennen: Das meist als Folge einer Bandscheibenpathologie (seltener durch Tumorerkrankung) auftretende „L5-Syndrom“, die „Amyotrophe Lateralsklerose“ sowie das Kompartment-Syndrom mit einem „Tibialis-anterior-Syndrom“. (das Tibialis-anterior-Syndrom, welches sich durch starke Schmerzen, Schwellung der vorn-seitlichen Unterschenkelmuskulatur und Rötung des betroffenen Hautareals manifestiert) .

Bei dem L5-Syndrom besteht die Abgrenzung zur Peroneuslähmung wesentlich in der bei der Peroneusparese fehlenden Schmerzsymptomatik. Das L5-Syndrom ist gekennzeichnet durch Schmerzen und Sensibilitätsstörungen im L5-Dermatom. Motorisch sind der Musculus extensor hallucis longus, der Musculus tibailis anterior und der Musculus gluteus medius betroffen. Dies hat zur Folge, dass der Fuß und die Großzehe nicht gehoben werden können und am Hüftgelenk die Innenrotation und Abduktion eingeschränkt sind.

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zeigt immer zusätzliche Symptome, durch die sie von einer Peroneuslähmung unterschieden werden können. Bei der ALS fehlen die Sensibilitätsstörungen.

Eine weitere Differenzialdiagnose ist das Tibialis-anterior-Syndrom, ein Kompartmentsyndrom an der Unterschenkelloge. Hier bestehen – im Unterschied zur Peroneusparese – Ischämie bedingte starke Schmerzen. In späteren Stadien können Zehendeformationen auftreten.

Therapie

Wenn die Peroneusparese Folge einer anderen Grunderkrankung (z. B. Tumor oder Bakerzyste) ist, muss primär diese behandelt werden. Ansonsten stehen operative und konservative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Die operative Behandlung des Peroneuskompressionssyndroms erfolgt durch die Freilegung der Nerven hinter dem Fibulaköpfchen und anschließende Dekompression.

Als konservative Behandlung kommt die Durchführung von Physiotherapie zur Stimulierung der schlaffen Muskulatur und Kräftigung der paretischen Muskeln infrage. Aus der physikalischen Therapie stehen Verfahren der Elektrotherapie zur Verfügung. Es werden nieder- oder mittelfrequente Stromimpulse eingesetzt, um den Muskel direkt zu stimulieren. Dadurch soll eine Inaktivi-tätsatrophie verhindert werden.

Um das Gangbild zu verbessern und den Steppergang zu unterbinden, ist die Versorgung mit einer Orthese sinnvoll, die verhindert dass sich der Fuß – der Schwerkraft folgend – in die Plantarflexion bewegt.

Es gibt zwei unterschiedliche Orthesentypen. Einerseits eine (Kunststoff)schiene mit Fußsohle ohne Gelenk und andererseits eine Schiene mit Gelenk und einstellbarer Hebekraft.

Die klassische Orthese ist der sogenannte „Heidelberger Winkel“, eine zwischen Absatz und Brandsohle des Konfektionsschuhs verankerte rechtwinkelige Schiene, die an der Wade befestigt wird. Das Anlegen einer solchen Peroneusschiene verhindert somit mechanisch das Absinken der Fußspitze und kann Gehen deutlich vereinfachen.

Prognose

Peroneuslähmungen, die durch Druckschädigungen wie zum Beispiel Gipsverband oder flasche Körperhaltung entstehen, haben eine gute Prognose. Bei Peroneuslähmungen infolge von Nervendurchtrennungen ist häufig ein bleibender Funktionsausfall die Folge. «

Nervenast
sensibel
motorisch
N. peroneus profun
Haut am lateralen Unterschenkel und Fußrücken
M. peroneus longus
M. peroneus brevis
N. peroneus superficialis
Haut im ersten Interdigitalraum
Musculus tibialis anterior
Musculus extensor hallucis longus
Musculus extensor hallucis brevis
Musculus extensor digitorum longus
Musculus extensor digitorum brevis
Musculus fibularis tertius

Tabelle: Beide Anteile des N. peroneus haben sensible und motorische Anteile. Der N. peroneus superficialis versorgt sensibel die Haut am lateralen Unterschenkel und Fußrücken. Der N. peroneus profundus die Haut im ersten Zehenzwischenraum. Der N. peroneus superficialis versorgt motorisch den M. peroneus longus und den M. peroneus brevis (Funktion: Pronation und Plantarflexion). Der N. peroneus profundus versorgt die Fußund Großzehenheber (Musculus tibialis anterior, Musculus extensor hallucis longus, Musculus extensor hallucis brevis, Musculus extensor digitorum longus, Musculus extensor digitorum brevis, Musculus fibularis tertius).

Foto: Eakrin/Adobe Stock
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