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12. Juli 2023
Anja Stoffel
DER FUSS Kolumne:

Fehlerkultur statt Fehlersuche

Gestern habe ich etwas Neues gelernt, das mein Arbeitsleben vollkommen verändern wird. Oder kennen Sie schon den Trick mit den Gummischuhen? Dann lesen Sie bitte trotzdem weiter
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Grafik: Cornelia Meier/C. Maurer Fachmedien

Seit Jahren bin ich auf der Suche nach einem tollen Tipp für die Hautpflege von immobilen Patient*innen. Ich kannte die Tütenversion, die Eincreme-Hilfen mit Stiel, die Malerrolle – was ich aber nicht kannte, waren die alten Gummi-Gartenschuhe oder Billig-Crocs. Dabei ist es so einfach: Schaum hineinsprühen, Schuhe an, einziehen lassen – und zum Schluss einfach auswaschen. Ich bin begeistert!

Warum erzähle ich das? Offensichtlich ist diese Methode ein alter Hut. Ich bin seit 10 Jahren Podologin; bilde selbst aus … und hatte dennoch eine fette Wissenslücke. Und mich vielleicht auch noch vor ganz vielen Profis blamiert, weil ich zugegeben habe, die Methode nicht zu kennen.

Seit Jahren frage ich in jeder größeren Runde – bei den Auszubildenden, bei Fortbildungen oder in Gesprächen – nach Ideen zu nachhaltigen Eincreme-Hilfen. Und bisher hat noch niemand diese Möglichkeit genannt. Bin ich also vielleicht doch nicht allein mit meiner Wissenslücke?

Sehr wahrscheinlich. Ich finde, mein Erlebnis ist ein „gutes“ Beispiel für unser Defizit im Informationsaustausch. Wir sollten zwei Voraussetzungen schaffen, um diesen Austausch in kollegialen Gruppen und Social-Media-Foren ins Rollen zu bringen: (1) keine Scheu, auch vermeintlich offensichtliche, banale oder altbekannte Dinge öffentlich auszusprechen, und (2) Mut, sich als unwissend zu outen.

Der erste Punkt ist leichter zu lösen; der zweite ist in meinen Augen dagegen tricky: So richtig schön ist so ein „dummes Nachfragen“ ja nicht. Besonders nicht in einer Kultur des Fehlersuchens, des Mit-dem-Finger-auf-andere-Zeigens und der öffentlichen Abwatsch-Möglichkeiten.

Natürlich präsentieren wir uns gerne als tolerante, professionelle Berufsgemeinschaft, die einander mit Tipps und Verbesserungsvorschlägen unterstützt. Oft genug trifft man aber auch auf die immer auf der Lauer liegende Podo-Inquisition.

Meinungsfreiheit kann auch vernichtend sein. Zu welcher Fraktion wollen wir also gehören?

Als Ausbilderin frage ich mich oft: Wer bin ich denn, dass ich jetzt vorne stehe? Die Macht der Einflussnahme möchte ich jedenfalls mit Demut nutzen – und zu einer kollegialen und offenen Kultur beitragen.

Ich mache die Erfahrung, dass es zu Aha-Erlebnissen und zu einer Art Klimawandel führt, wenn ich selbst von Dingen berichte, an denen ich gescheitert bin oder Behandlungen, die ich in den Sand gesetzt habe – und was dann daraus entstanden ist. Manchmal lernt man dadurch fürs Leben, manchmal verbessert man sich durch regelmäßiges Üben. Ja, und manchmal bleibt es am Ende ein wirklich blöder Fehler, den man gerne ungeschehen machen würde.

Ohne die Bereitschaft, auch einmal zu scheitern oder vermeintlich „dumm dazustehen“, gibt es kein Lernen und kein Wachstum. Und ohne Fehlerkultur keine Kultur des Informationsaustausches. Wer Angst hat, stellt keine Fragen – und das ist fatal.

Bleiben Sie im Austausch!

Ihre Anja Stoffel

Porträtfoto
Foto: Anja Stoffel/www.podovision.de
Anja Stoffel, Podologin B.Sc. und Physiotherapeutin, ist am liebsten in verschiedenen Settings im Auftrag der Therapieberufe unterwegs. Auf www.podovision.de bietet sie digitale Fortbildungen zu praxisrelevanten Themen unter dem Motto „Kopfsachen für Fußmenschen" an. Besonders am Herzen liegt ihr die nachhaltige Zusammenarbeit aller Beteiligten in der Podologie – dem schönsten Beruf der Welt!
Foto: Eakrin/Adobe Stock
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