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9. August 2023
Kerstin Reich
Kommentar

Fachkräftemangel – ein hausgemachtes Problem?

Für die Arzthelferin und kosmetische Fußpflegerin Kerstin Reich ist die Podologie schon immer ein Traumberuf gewesen. Dennoch hat sie ihre Podologie-Ausbildung im Oktober 2022 vorzeitig beendet. Ihre Beweggründe legt sie im Folgenden dar.
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Grafik: Cornelia Meier/C. Maurer Fachmedien

Viele Menschen mögen ihre Füße nicht – oder finden sie sogar eklig. Also stecken sie sie schnell in Strumpf und Schuh … und damit sind sie den ganzen Tag aus dem Sinn. Vor allem bei jungen Menschen begegnet mir das immer wieder – zum Beispiel bei meinen Töchtern oder jugendlichen Patient*innen. Für sie sind Füße einfach scheußlich!

Junge Menschen direkt nach der Schule für Füße zu begeistern, ist schwierig. Deshalb glaube ich, dass die Podologie auch in Zukunft kein klassischer Erstausbildungsberuf sein wird.

Um den Beruf und vor allem die Ausbildung aber für ältere Berufseinsteiger oder -umsteiger attraktiver zu gestalten, könnte aber meines Erachtens einiges getan werden. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass der Fachkräftemangel mit Blick auf die Ausbildung und ihre Strukturen gerade in dieser Branche ein Stück weit „hausgemacht“ ist.

Die Ausbildung zur Podologin hätte ich gerne schon vor 18 Jahren gemacht. Das war für mich bei einem Schulgeld von mehr als 10.000 Euro aber nicht möglich. Hinzu kam die große Entfernung zu den Schulen – damals kamen für mich nur Stuttgart oder Lauf a. d. Pegnitz. Auch war die Ausbildung nur ganztags möglich. Doch auch heute gestaltet sich die Ausbildung aus meiner Sicht problematisch.

Wünsche für eine moderne Podologie-Ausbildung

Ausbildungsdauer abhängig von der Vorerfahrung

Ich habe 17 Jahre als kosmetische Fußpflegerin gearbeitet, war selbstständig und bin sehr enttäuscht, dass es auch für Personen mit medizinischem Hintergrund so schwierig ist, den Titel zu erlangen.

Wer bereits eine medizinische Ausbildung hat, sollte auf keinen Fall noch einmal zwei (Vollzeit) oder drei Jahre (Teilzeit) Ausbildung absolvieren müssen.

Ebenso sollte es für kosmetische Fußpfleger*innen, die mindestens fünf Jahre Berufserfahrung und eine solide Ausbildung absolviert haben (keinen Wochen- oder gar Wochenendkurs) oder eben bereits eine medizinische Ausbildung nachweisen können, möglich sein, die Podologie-Ausbildung in einer kürzeren Zeit zu absolvieren.

Mehr praktische Ausbildungszeiten

Weiterhin wäre es unheimlich wichtig, intensive praktische Ausbildungszeiten zu schaffen. Das heißt für mich: weniger Theorie – beziehungsweise nur wirklich relevantes Theoriewissen, um kompetentes medizinisches Fachwissen zu erlangen.

Benötigt es wirklich Deutsch, Staatskunde etc. bei Schülerinnen und Schülern, die nicht mehr schulpflichtig sind? Hier muss ganz klar unterschieden werden.

Podologie als Weiterbildungsberuf

Auch frage ich mich immer wieder, warum die Podologie für medizinisches Personal nicht– wie der Wundexperte – als Weiterbildungsberuf existiert.

Mehr Digitalisierung und mehr Flexibilität

Gerade für die theoretischen Unterrichtsinhalte sollte es außerdem viel mehr Online-Angebote geben. Für viele potenzielle Schülerinnen und Schüler wäre auch kompakterer Unterricht, im Block oder per Video, wichtig. Täglich fünf Stunden, so wie es an meiner Schule war, sind für Menschen, die wie ich, vom Land kommen, und 1000 km zur Schule fahren müssen, auf Dauer nicht machbar.

Blockunterricht hatte es nur an noch weiter entfernten Schulen in Ulm oder Würzburg gegeben. Rund um München bietet keine Schule diese Unterrichtsform an. Der Blockunterricht hätte mir – und sicher vielen anderen auch – die Möglichkeit gegeben, eine laufende Praxis und den Familienalltag nebenbei trotzdem stemmen zu können. Denn auch wenn die Ausbildung in Bayern im Moment kein Schulgeld kostet, hat man ja doch erhebliche Kosten.

Was ich auch kritisiere: Mein erstes Schuljahr habe ich erfolgreich abgeschlossen, es wird mir aber derzeit nur maximal ein halbes Jahr anerkannt. Das heißt, sollte ich die Ausbildung doch weitermachen wollen, dann habe ich maximal ein halbes Jahr Zeit, mich für eine andere Schule zu entscheiden. Warte ich länger mit der Entscheidung, wird mir das bereits absolvierte Schuljahr nicht anerkannt. Meine Ausbildungszeit würde dann wieder von vorne anfangen. Auch hier wünsche ich mir eine flexiblere Struktur. Lebensumstände können sich jederzeit ändern – gerade in unserer heutigen, schnelllebigen Zeit!

Podologie und Fußpflege – miteinander statt gegeneinander

Leider ist auch die Abgrenzung zwischen kosmetischen Fußpfleger*innen und Podolog*innen noch immer sehr groß. Ein Umstand, der vor allem bei Fortbildungen deutlich wird. Dabei sollten wir doch zusammenarbeiten und uns gegenseitig unterstützen.

Natürlich muss sich auch in der Fußpflege etwas tun. Abgeschafft gehören meines Erachtens, die Wochenendkurse beziehungsweise Wochenkurse in der Fußpflege. Wenn es solche kurzen Schulungen weiterhin gibt, sollten Teilnehmende auch wirklich nur dekorativ arbeiten (Feile, Fußbad, Massage, dekorative Kosmetik). Auf keinen Fall aber mit rotierenden Instrumenten – hier muss eine klare Abgrenzung geschaffen werden.

Denn: Der Patient auf dem Stuhl kennt oft den Unterschied zwischen kosmetischer Fußpflege und Podologie nicht. Hier fehlt die Aufklärung.

Hürden senken und an die Lebensumstände denken

Mittlerweile bin ich wieder zurück in meinem alten Beruf als Arzthelferin in einer großen diabetologischen Schwerpunktpraxis und mache eine Weiterbildung zur Wundexpertin.

Für mich ist das oft sehr belastend, da ich jetzt „an der Front“ das ganze Ausmaß an pflegebedürftigen Füßen sehe. Hinzu kommt der akute Podologen-Mangel bei uns auf dem Land. Eine Katastrophe! Und die Podolog*innen, die um mich herum eine Kassenzulassung haben, haben oft einen Aufnahmestopp, weil einfach zu viele Menschen adäquate Hilfe benötigen.

Es wäre so toll, wenn die Podologie-Ausbildung für manche Berufsgruppen einfacher zugänglich wäre und vor allem nicht über einen so langen Zeitraum ginge – und damit auch familienfreundlicher wäre!

Meistens steht man ja während der ganzen Ausbildung mitten im Berufsleben. Ich zum Beispiel hatte eine eigene kleine Praxis. Die kann man nicht für drei Jahre einfach schließen. Ein oder zwei Jahre Ausbildung nebenbei zu absolvieren, ist sicherlich möglich. Aber drei oder vielleicht sogar mehr? Vor allem für Menschen, die 1.000 Kilometer Schulweg pro Woche haben … das schreckt ab – egal wieviel Leidenschaft man für den Beruf hat.

Porträtfoto
Foto: privat
Kerstin Reich ist Arzthelferin und kosmetische Fußpflegerin. Aktuell ist sie als Arzthelferin in einer großen diabetologischen Schwerpunktpraxis tätig und bildet sich zur Wundexpertin weiter. Sie sagt: „Insgesamt war ich 17 Jahre als Arzthelferin tätig; 9 Jahre davon in einer diabetischen Schwerpunktpraxis, in der ich nicht-insulinpflichtige Menschen mit Diabetes geschult habe. Dabei ist mir aufgefallen, wie viele Menschen es sind, die nicht auf ihre Fußgesundheit achten. Deshalb bin ich zur Fußpflege gekommen!“
Foto: Eakrin/Adobe Stock
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