(Non-)Compliance bei Diabetes mellitus
Definition von Compliance
Compliance (auch Adhärenz oder Therapietreue) bedeutet die Einhaltung und Umsetzung der Empfehlungen von behandelnden Ärzt*innen, Podolog*innen, auf Diabetes spezialisierten Mitarbeitenden, Orthopädieschuhmacher*innen und Orthopädietechniker*innen durch die Patientin oder den Patienten.
Besondere Relevanz bei chronisch Kranken
Vor allem bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus ist die Compliance wichtig, um die gesetzten Therapieziele erfolgreich zu erlangen und dadurch auch die Lebensqualität zu stabilisieren. Nach Literaturangaben liegt die Adhärenz-Rate Betroffener mit chronischen Erkrankungen allerdings nur bei rund 50 Prozent.
Bei Diabetes mellitus sind eine regelmäßige und zeitnahe Einnahme von Medikamenten oder Injektion von Insulin, diätetische Maßnahmen, regelmäßige podologische Behandlungen beim Diabetischen Fußsyndrom (DFS), konsequente Anwendung verordneter orthopädischer Hilfsmittel, Lebensstiländerungen – besonders bei vorliegender Adipositas (Übergewicht) und Nikotinabusus – notwendig.
Dabei sollten Ärzt*innen, Patient*innen, Podolog*innen, Diätberater*innen und Apotheker*innen ein gemeinsames Team bilden. Zum Erreichen einer optimalen Therapietreue stehen dabei folgende Aspekte im Vordergrund: Kompetenz, explizite Aufklärung über Diabetes mellitus und dessen Folgen, Fürsorge, Vertrauen – sowie Respekt und Verständnis des Behandlerteams gegenüber der oder dem Betroffenen.
Compliance-Grade
Die Compliance lässt sich nach Heuer & Heuer in drei Stufen einteilen. Stufe I bedeutet eine gute Mitarbeit im gesamten Therapiekonzept. Zu etwa 80 Prozent und mehr nimmt die oder der Betroffene die Therapiemaßnahmen an und realisiert sie.
Bei Stufe II liegt eine partielle Compliance vor, bei der 20 bis 80 Prozent der vorgegebenen Therapiemaßnahmen umgesetzt werden. Unerwünschte Folgen resultieren vor allem durch eine eigenmächtige Änderung des Betroffenen der Medikamenteneinnahme.
In der Stufe III liegt die Therapietreue bei weniger als 20 Prozent. Es handelt sich nun um eine sogenannte „Non-Compliance“ mit drohenden Folgeerscheinungen.
Einflussfaktoren einer notwendigen Therapietreue
- soziologische Faktoren der oder des Betroffenen wie Bildungsstand, häusliches Milieu, Berufs- oder Arbeitslosigkeit
- konsequente Umsetzung der empfohlenen Therapiemaßnahmen wie Einhaltung von (vorgegebenen) Konsultationen bei der oder dem behandelnden Ärzt*in, Teilnahme an regelmäßigen podologischen Behandlungen und Umsetzung von Tipps zur häuslichen Fußpflege
- zum Selbstschutz und zur Selbstorganisation gehören die regelmäßige selbstständige Durchführung von Blutzuckerkontrollen, Blutdruckmessungen bei Hypertonie (Bluthochdruck) und Gewichtskontrollen bei Adipositas (Übergewicht)
- regelmäßige Teilnahme an Schulungen für Menschen mit Diabetes zur Erlangung theoretischer und praktischer Kenntnisse über Diabetes mellitus und dessen möglicher Folgen, betreffs Einstellung und Akzeptanz der chronischen Erkrankung
- bei depressiven Schwankungen, Uneinsichtigkeit gegenüber der Erkrankung oder Pessimismus ist eine psychologische Mitbetreuung hilfreich
Definition von Non-Compliance
Bei Non-Compliance handelt es sich um eine partielle oder totale mangelnde Bereitschaft zur Kooperation oder Verweigerung der vorgegebenen vermittelten wichtigen Maßnahmen bei Diabetes mellitus vom Therapieteam.
Non-Compliance-Probleme sind meist auf vielseitige Ursachen zurückzuführen. Sie können entweder vom Behandlungsteam oder vom Menschen mit Diabetes mellitus ausgehen.
Vom Betroffenen ausgehende Ursachen
- fehlende Einsicht oder Akzeptanz zur chronischen Erkrankung Diabetes mellitus trotz intensiver Aufklärung durch den behandelnden Arzt oder die Ärztin
- ungenügende Information und daraus resultierende verminderte Kenntnisse zur vorliegenden Stoffwechselerkrankung
- nicht vorhandener oder reduzierter täglicher Selbstschutz wie regelmäßige Blutzuckermessungen, korrekte zeitnahe Medikamenteneinnahme ohne eigenmächtige inakzeptable Veränderungen, Umsetzung empfohlener Tipps von der Podologin oder dem Podologen zur
- häuslichen Fußpflege, kontinuierliche Anwendung orthopädieschuhtechnischer Hilfsmittel, regelmäßige Teilnahme an Schulungen, Austausch mit Betroffenen in Selbsthilfegruppen
- Medikamentenkosten
- fehlendes Vertrauen oder Kommunikation zum*zur Ärzt*in oder weiteren Diabetes spezialisierten Mitarbeitenden
- mangelnde Gesundheitseinstellung
- fehlender Leidensdruck
- Hemmung der notwendigen Motivation aufgrund von permanenten negativen Gedanken
- ungenügende soziale Betreuung
- häufiger Arztwechsel
- psychische Probleme – zum Beispiel Angstzustände oder Depressionen
Vom Behandelnden ausgehende Ursachen
- problematische Kommunikation aufgrund von Zeitmangel oder für den*die Patient*in unverständliche Sprache (viele Fachbegriffe unter anderem lateinisch etc.)
- verminderter Empathie seitens der Ärztin oder des Arztes
- ungenügende Aufklärung über Grundlagen der Stoffwechselerkrankung und deren Folgen, Notwendigkeit der Medikamenteneinnahme, dem weiteren Therapiekonzept, Selbstschutz und zusätzlicher Problemlösung (unter Einbindung von Psycholog*in oder Psychiater*in)
- fehlende Berücksichtigung weiterer vorliegender Grundkrankheiten
Folgen und Minimierung von Non-Compliance bei Diabetes mellitus
Non-Compliance und schlecht eingestellter Diabetes mellitus minimieren den gewünschten Therapieerfolg und können zu schweren Folgen führen.
In Betracht kommen ein Diabetisches Fußsyndrom (DFS), ein diabetischer Charcot-Fuß, Erblindung, Dialyse, Herzinfarkt, Apoplexia cerebri (Schlaganfall) und letztlich Minor- oder Major-Amputationen.
An den Füßen bilden sich Druckstellen, verstärkte Hyperkeratose, Clavi, Callositas oder Rhagaden, die eine Eintrittspforte für Mikroorganismen mit Gefahr einer drohenden Superinfektion bieten. Des Weiteren kann es zu Wundheilungsstörungen, Nekrosen und Gangrän (Brand) kommen, die letztlich zu einer (eigentlich vermeidbaren) Amputation führen können.
Zur Minimierung und Verbesserung bei Non-Compliance gehören:
- Förderung der mentalen Annahme der Glukosestoffwechselerkrankung Diabetes mellitus
- Beeinflussung einer positiven Einstellung zur Wirksamkeit der vorgegebenen Therapiemaßnahmen
- Erlangen eines zufriedenstellenden Verhältnisses zwischen Behandelnden und Patient*innen
- Einsicht zu einer interdisziplinären Kommunikation
- Annahme einer Unterstützung von Angehörigen oder Hilfspersonen
- Unterstützung und Hilfe Diabetesspezialisierter Fachkräfte bei Problemen bei der Selbstorganisation und notwendigem Selbstschutz
Durch Minimierung einer Non-Compliance können letztlich steigende Folgekosten durch häufige Arztbesuche, stationäre Aufenthalte und längerem Arbeitsausfall gesenkt werden.
Autorin
Orthopädin Dr. Renate Wolansky
Luisenstraße 26
06618 Naumburg
Erschienen in DER FUSS Sonderheft 2023.