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26. Januar 2017
Redaktion

Schwindsucht im Knochen

Mumien aus Ägypten und Peru geben uns Hinweise, dass die Tuberkulose schon in frühster Zeit aufgetreten ist. Ihr Erreger – das Mycobacterium tuberculosis – wurde erstmalig 1882 von dem deutschen Arzt Dr. Robert Koch entdeckt.

Das Bakterium ähnelt dem Erreger der auslösenden Lepra (siehe auch „DER FUSS“ 5/6 2013). Im Jahre 1886 identifizierte Rankin histologisch die „Tuberculosis dactylitis“. Leopold Feilchenfeld beschrieb 1896 bei Kindern die Tuberculosis dactylitis im Röntgenbild.

Was ist TBC?

Bei der Tuberkulose (TBC) oder „Schwindsucht“ handelt es sich um eine in Schüben verlaufende chronische Infektionskrankheit. Synonyme für die Spina ventosa sind „Tuberculosis dactylitis“, „Knochentuberkulose der kurzen Röhrenknochen in Händen oder Füßen“, „Bone tuberculosis“ oder „Skeletal tuberkulosis“.

Ausgelöst wird die Tuberkulose durch das Mycobacterium tuberculosis hominis. Die Erreger sind außerhalb des befallenen Organismus lange lebensfähig – im Sputum (Auswurf) zum Beispiel etwa zwölf Wochen.

Die Verbreitung der TBC geschieht in den meisten Fällen durch Tuberkuloseerreger im Sputum. Bei den Erregern handelt es sich um immobile säurefeste stäbchenförmige Bakterien von einer Länge von drei bis vier Millimetern.

Die Tuberkulose kann beim Menschen fast jedes Organ befallen. Von der Infektion ist am häufigsten die Lunge betroffen. Allerdings kann es auch zu einer extrapulmonalen (außerhalb der Lunge) Sekundärinfektion wie zum Beispiel im Urogenitaltrakt (sogenannte UGT) oder Urogenital-Tuberkulose (Nieren-, Nebennieren-, Harnleiter-, Blase- oder ­Genitalinfektion), in Knochen- oder ­Gelenken – sogenannte KGT oder ­Knochen-Gelenk-Tuberkulose –, peripheren Lymphknoten, Kehlkopf, Darm, Hirn oder Rückenmark kommen. Die Infektion geschieht bei einer extra-pulmonalen TBC primär von der Lunge ausgehend über den Blut- oder Lymph-weg.

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Häufigkeit und Vorkommen

Die Tuberkulose, als häufigste Infektionskrankheit, ist weltweit verbreitet. Nach Angaben der DAHW (Deutsches-Aussätzigen-Hilfswerk; Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V.) wurden in Deutschland 4000 bis 5000 Neuerkrankungen an Tuberkulose pro Jahr regis­triert.

Eine hohe Anzahl (zirka 90 %) der Tuberkulosefälle sind vor allem in Asien – hier besonders Indien – Indonesien, China, Pakistan, die Philippinen, aber auch Länder in Osteuropa wie Moldawien und Georgien zu verzeichnen. Indien ist das Land mit den weltweit meisten Tuberkulosefällen. Ausgegangen wird von mehr als zwei Millionen Neuerkrankten pro Jahr bei fast 1,3 Milliarden Einwohnern. In Nigeria, mit seinen fast 173 Millionen Einwohnern sind etwa 600000 Neuerkrankungen an Tuberkulose pro Jahr zu beklagen, wovon etwa jeder vierte Betroffene zusätzlich HIV positiv ist.

Weltweit, vorrangig in Afrika, sollen etwa zwölf Prozent der von Tuberkulose Betroffenen, HIV positiv sein. Am Welttuberkulosetag, dem 24. März 2015, wurde bekannt, dass im Jahr 2014 trotz aller medizinischen Fortschritte mehr als ­eine Million Tuberkuloseerkrankte starben.

Dabei spielen extreme Armut, mangelhafte Wohnverhältnisse, fehlende notwendige Hygienemaßnahmen, kein ­sauberes Wasser und vor allem Immun­schwäche (durch HIV oder Diabetes mellitus) eine ursächliche Rolle.

Übertragungswege

Über Speichelpartikel – sogenannte Tröpfcheninfektion – werden Tuberkelbakterien beim Husten, Niesen oder Sprechen von Mensch zu Mensch mit hochgradiger Ansteckungsgefahr übertragen. Dabei gelangen Tuberkulose-Erreger über die Atemwege in die Lungen-alveolen und lösen gegebenenfalls eine Entzündung aus. Bei Betroffenen befinden sich Erreger auch in der Mundhöhle, wodurch eine Infektion mittels gemeinsam benutzter Gegenstände wie Gläser, Bestecke oder Geschirr stattfinden kann.

Des Weiteren – jedoch seltener – ist die Übertragung einer pulmonalen Tuberkulose (Lungentuberkulose) vom Rind durch nicht pasteurisierter Milch möglich. Diese sogenannte Rindertuberkulose wird auf den Menschen durch das ­Mycobacterium bovis übertragen.

Die Infektion einer extrapulmonalen TBC geschieht vom Primärherd der Lunge über den Lymph- (lymphogen) oder Blutweg (hämatogen). Als Sekundär­infektion sind dann andere Organe zusätzlich befallen.

Stadien der Tuberkulose Unterschieden werden drei Stadien.

Stadium I – oder Primärinfektion – hat eine Inkubationszeit (Zeitpunkt der Ansteckung bis zum Auftreten der ersten klinischen Symptome) von sechs bis acht Wochen. Dabei treten mäßig erhöhte Körpertemperatur, Inappetenz (Appetitlosigkeit), Müdigkeit, Husten, Kraftlosigkeit und Nachtschweiß auf. Ferner kommt es zur Gewichtsabnahme. Diese anfänglich unspezifischen Symptome verharmlosen und verschleiern oftmals die Diagnose Tuberkulose. In der Lunge entwickelt sich häufig ein abgekapselter Herd (Primäraffekt), die sogenannte „geschlossene Tuberkulose“. In dieser Phase ist die TBC nicht ansteckend.

Im Stadium II – oder Sekundärstadium – vergrößert sich der Primärherd in der Lunge, wobei nun die Tuberkelbakterien von den Lymphknoten und Lymphbahnen über die Blutbahn in Knochen und/oder Gelenke gelangen können und diese destruieren (zerstören). Hierbei handelt es sich um eine „offene Tuberkulose“ mit Abfluss nach außen. In dieser Phase besteht eine hohe Ansteckungsgefahr. Typisch sind ein schleimiger gelblich-grüner bis blutiger Auswurf und hohes Fieber. Betroffene klagen über starke Schmerzen und Beklemmungsgefühl im Thorax (Brustkorb). Im Extremfall kann es zu einer tuberkulösen Sepsis (Blutvergiftung) oder zu einer „Miliartuberkulose“ (generalisierte TBC mit Beteiligung der Hirnhäute) mit irreversiblen Schäden bis zur Todesfolge, besonders bei Kleinkindern, kommen.

Im Stadium III – oder Tertiärstadium – ist ein isolierter Organbefall durch Reaktivierung der Bakterien möglich. Betroffen können zum Beispiel Nieren, Genitalien aber auch Knochen und Gelenke sein. Begünstigt wird dies bei vorliegender Immunschwäche wie Aids (HIV) oder anderen schweren Erkrankungen.

Knochentuberkulose

Bei etwa zwei bis drei Prozent der an Lungen-TBC Erkrankten kann eine Knochen-Tuberkulose auftreten.

Die Knochen-TBC entsteht auf arteriellem, venösem hämatogenen sowie lymphogenem Weg (sogenannte Dissemination – Verbreitung einer Krankheit) als Sekundärprozess einer Lungentuberkulose innerhalb von drei Jahren nach Primärinfektion. Dabei ist eine Infektion in jedem Knochen möglich. Die Wirbelsäule ist mit etwa 50 – 60 Prozent mit typischer Gibbusbildung (nach dorsal verstärkte konvexe Krümmung der Wirbelsäule, sogenannter „Buckel“) am häufigsten betroffen (Abb. 1). Es folgen Hüft- (zirka 2 – 3 Prozent) sowie Kniegelenke, Metatarsalia (Mittelfußknochen), Metakarpalia (Mittelhandknochen) und Phalangen (Zehen- und Fingerglieder) (Abb. 2).

Bei der Gelenk-TBC werden zwei Formen unterschieden:

1.Synoviale Form mit Unterteilung in
– seröse Gelenk-TBC (oder Hydrops);

  • serofibrinöse Gelenk-TBC (oder Fungus);
  • eitrige Gelenk-TBC (Empyem);

2. Ossäre Form (Knochen betreffend).

Klinische Symptomatik einer Gelenk-Tuberkulose

Der Beginn einer Arthritis tuberculosa ist schleichend. Schmerzen in Ruhe sind selten anzutreffen. Das Allgemeinbefinden ist zunächst nicht reduziert. Die Körpertemperatur schwankt oftmals zwischen 1 – 5 ° Celsius am Tage. An den unteren Extremitäten fallen Schonhaltung, scheinbare Beinlängenverkürzung und Kontrakturen (Weichteilverkürzung) auf. Im weiteren Verlauf kommt es zur Destruktion des befallenen Gelenks und angrenzenden Knochens mit Fistelbildung, Senkungsabszess, die zur realen Beinlängenverkürzung, Spitzfußstellung und letztlich Skoliose (Wirbelsäulenverbiegung) führen können.

Spina ventosa

Das Krankheitsbild – auchTuberculosis dactylitis, Winddorn oder Tuberkulose der Zehen oder Finger genannt – tritt vorwiegend bei Kindern auf. Sie betrifft vor allem die kurzen Röhrenknochen wie zum Beispiel Mittelfuß- und Mittelhandknochen sowie Zehen- oder Fingerglieder. Fußwurzel- oder Handwurzelknochen sind seltener befallen. Die beteiligten Knochen erscheinen verkürzt. Zu beachten ist, dass mehrere Knochen infiziert sein können.

Anfangs bestehen meist dumpfe, später heftige zunehmende Knochenschmerzen mit darüber liegender Weichteilschwellung und Fieber. Die über der befallenen Knochenregion befindliche Haut ist stark gerötet und überwärmt. Die Patienten klagen über Berührungsschmerzen. Bei der chronisch verlaufenden skrofulösen (Tuberkulose der Haut) Entzündung des Knochens kommt es zur spindelförmigen Auftreibung der Kompakta (äußere Knochensubstanz) im Diaphysenbereich (Mittelstück eines Röhrenknochens) mit Gewebeauflockerung. Dabei geht die tuberkulöse Infektion und Entzündung vom Inneren der Diaphyse aus (Abb. 3 und 4). Der Knochen weist eine schwammartige Kon­sistenz mit häufiger Höhlenbildung auf, in der sich eine rötliche „jauchenähn­liche“ Flüssigkeit befindet. Osteolysen (Knochenzerstörungen) und Knochennekrosen (Absterben von Knochengewebe) mit Zusammensintern des Knochens sind die Folge. Im weiteren Verlauf kann es zur Perforation der Haut infolge Fistelbildung mit Entleerung jauchiger Flüssigkeit kommen.

Diagnostik

Zunächst steht die Erhebung einer ausführlichen Anamnese in Bezug auf im Umfeld an Tuberkulose erkrankten Personen im Vordergrund.

Hinzu kommt die Abklärung statt gehabter Reisen in Länder mit gehäuft vorkommender Tu­ber­kulose (s. u. Vorkommen und Häufigkeit).

Bei den serologischen Untersuchungen (Blutuntersuchungen) liegt meis­tens eine Erhöhung der Lymphozyten (Lymphozytose) und Linksverschiebung im Blutbild vor.

Mithilfe einer bakteriellen Untersuchung gelingt es, Tuberkelbakterien aus dem Auswurf (Sputum), Liquor, Magensaft, Urin oder gewonnenen Eiter sicher nachzuweisen. Zu bedenken ist allerdings, dass nach Anlegen einer Kultur zum Nachweis von Tuberkelbakterien ein Zeitraum von etwa vier Wochen eingeräumt werden muss, da Tuberkelbakterien sich nur langsam vermehren.

Der frühere nicht absolut sichere Tuberkulin-Hauttest (THT), bei dem eine geringe Menge Tuberkulin in die Haut injiziert wird, ist bei im Körper vorhandenen Tuberkelbakterien positiv, wenn bis nach drei Tagen eine größere rote erhabene Hautrötung (tastbare Infiltration) an der Injektionsstelle auftritt. Der Test spielt heutzutage kaum noch eine Rolle. Eine hochwertige Laborausstattung fordern immunbiologische Diagnostikverfahren mit hohem Sicherheitsnachweis und schnellem Ergebnis wie zum Beispiel der Gamma-Interferon-Test. In Ländern der dritten Welt stößt dieses auf erhebliche Schwierigkeiten. Schnell und sicher ist das Testverfahren Genexpert in Hinsicht auf Erregernachweis und Resistenzbestimmung. Es handelt sich dabei um ein genetisch basierendes Testverfahren.

Bei der Bildgebenden Diagnostik ist es möglich, mithilfe von Röntgenaufnahmen eine Lungentuberkulose bereits im frühen Stadium zu erfassen. Ferner erfolgt eine Verlaufskontrolle röntgenologisch.

Bei einer Knochen-TBC sind anfänglich im Röntgenbild nur geringe Veränderungen zu erkennen. Im Anfangsstadium ist die Magnetresonanztomo­graphie (MRT) aussagefähiger vor allem im Bezug auf Lymphknotenbefall, ­Knochen- und Weichteilveränderungen (Abb. 6).

Im späteren Verlauf treten Osteoporose, Knochenaufhellungen, Usuren (randständige Knochendefekte), Knochenkavernen (Hohlräume), Knochendestruktion (Knochenzerstörung) und ­Sklerose (krankhafte Verhärtung) im Röntgenbild auf (Abb. 5). Bei einer ­Gelenktuberkulose sind eine Verschmälerung des Gelenkspaltes und ­eine gelenknahe Knochenatrophie typisch. Die Wirbelsäulentuberkulose (tuberkulöse Spondylitis) geht mit Verschmälerung des Zwischenwirbelraums, Osteolysen (Knochenauflösungen) und Destruktionen (Knochenzerstörung) einher. Zusätzlich ist bei einer Knochentuberkulose eine Röntgenaufnahme des Thorax, um eine Lungentuberkulose auszuschließen, zu empfehlen.

Zur endgültigen Diagnosestellung und Nachweis von Tuberkelbakterien kommen Punktion und/oder Biopsie (Probeentnahme von Gewebe) infrage.

Differenzialdiagnose

Differenzialdiagnostisch sollten folgende Krankheitsbilder ausgeschlossen werden:

  • Eitrige Infektion;
  • Pilzinfektion;
  • Leukämie (sogenannter Blutkrebs mit krankhafter Erhöhung weißer Blutkörperchen);
  • Sarkoidose (gutartige Erkrankung der Lunge);
  • Dactylitis (Zehen- oder Fingerentzündung) infolge einer Lues (Syphilis Geschlechtserkrankung);
  • Hyperthyreodismus (Überfunktion der Schilddrüse);
  • Brodie Knochenabszess (chronisch verlaufender umschriebener Herd ­einer hämatogenen Osteomyelitis (Knochenmarkentzündung) in der Metaphyse (Mittelstück eines Röh­ren­knochens);
  • Kaposi-Sarkom (Geschwulst aus Blutgefäßen und gewuchertem Endothel (Plattenepithel, das die Blut- und Lymph­gefäße auskleidet).

Therapie

Im Vordergrund steht die weltweit standartisierte antituberkulöse Kombinationstherapie und Ruhigstellung ossärer (knöcherner) betroffener Regionen wie zum Beispiel Extremitäten oder Wirbelsäule. Als Standardmedikamente werden vier Antibiotika Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und als viertes Medikament entweder Ethambutol (EMB), Protinamid (PTH) oder Streptomycin (SM) für zwei bis drei Monate verabreicht. Die konsequente Weiterbehandlung eines Antibiotka-Mix erfolgt mit Rifampicin und Isoniacid für mindestens sechs Monate. Die Behandlung bei extrapulmonalen (außer der Lunge) Befall oder Resistenzen erstreckt sich deutlich länger. Bei bereits vorliegender Destruktion des Knochens (Zerstörung) aufgrund der Infektion ist eine operative Herdausräumung unumgänglich. Besonders im Wachstumsalter können durch eine frühzeitige Herdsanierung irreparable (nicht umkehrbare) Schäden wie zum Beispiel Wachstumsstörungen, Beinlängenverkürzung oder Fehlstellungen mit Funktionseinschränkungen verhindert werden.

Bei Befall eines Gelenks ist oftmals eine zusätzliche Arthrodese (Gelenkversteifung) oder bei Wirbelbeteiligung eine Spondylodese (Wirbelversteifung) notwendig. Außerdem müssen Knochensequester (abgetrenntes und abgestorbenes Knochenstück) und Nekrosen (sogenannter Zelltod), die zu Fistelbildungen führen können, entfernt werden. Bei Vorliegen einer Resistenz der auslösenden Bakterien (Widerstandsfähigkeit von Mikroorganismen gegen Antibiotika) sind bis zum Erhalt des Antibiogramms zusätzliche Medikamente (bis zu 6) indiziert.

Zur Behandlung einer multiresistenten TBC stehen Patentgeschützte teure Medikamente zur Verfügung. Besonders für HIV-Betroffene (Aidskranke) ist oftmals Ersatz und Ergänzung erforderlich. Bei nicht austherapierten Patienten kann bei geschwächtem Immunsystem die Krankheit erneut ausbrechen.

Prognose

Sofern keine Antibiotikaresistenz vorliegt, ist die TBC-Behandlung mit einem Antibiotika-Mix erfolgversprechend. Je früher die Therapie einsetzt, umso besser sind die Heilungschancen. Das Risiko einer Organschädigung oder eines tödlichen Verlaufs besteht nur in extrem seltenen schweren Fällen, beziehungsweise wenn mit der Therapie zu spät begonnen oder diese nicht konsequent bis zum Ende durchgeführt wird. «

Danksagung

Bedanken möchte ich mich für die Überlassung der Bilder bei Herrn Dr. Oswald Bellinger, Frau Sylvia Deppisch bei der DAHW (Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V.), Würzburg, und bei Herrn Professor Dr. Volker Schulz, Schriesheim.

Foto: Eakrin/Adobe Stock
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