Folgen Sie uns
30. Januar 2017
Klaus Grünewald
Biomechanik

Teilaspekte einer Ganganalyse

Zu Beginn der Ganganalyse ist unter anderem die Beurteilung der Körperhaltung des Patienten wichtig, ebenso die Betrachtung des Fußes und des Beines. Bei ungleicher Schulterhöhe ist zwischen strukturellen (z.B. unterschiedlichen Knochenlängen) und funktionellen (z.B. durch Dysbalance der Muskulatur) bedingten Schiefstellungen zu unterscheiden. Der dadurch verlagerte Körperschwerpunkt führt zum Beckenschiefstand und zur Fehlbelastung des Fußes. Nach meinen Einschätzungen sind es hauptsächlich funktionell bedingte Beinlängenunterschiede, welche die asymmetrische Haltung des Körpers verursachen.
Grafik: Klaus Grünewald

In dem zuletzt genannten Fall kann mit Physiotherapie die schwächere Muskulatur aufgebaut und das Kräftegleichgewicht der Muskulatur wieder hergestellt werden. Undifferenziert, ohne Unterscheidung der Ursache, einen Längenausgleich (z.B. schuhtechnisch durch eine Fersenerhöhung) vorzunehmen, sollte sogfältig überlegt sein. Bei einer funktionell bedingten Beinlängenverkürzung ist eine Fersenerhöhung eher schädlich, da sich die schwächere Muskulatur weiter zurückbildet.

Beispiel Fußstellung

Aus dem gesamten Ablauf zur Beurteilung des Gangbildes greife ich einen kleinen Teil heraus: die Stellung des Fußes in der Standphase des Ganges (Abb. 1). Der in diesem Fall gekürzte Ablauf zur Beurteilung eines Gangbildes ist als Ausnahme zu verstehen und ist grundsätzlich nicht die Regel. Es soll schließlich ein Gesamtbild entstehen, das als Ursache für die Fehlbelastung des Fußes in Frage kommt.

Obwohl ein Laufband für die Analyse des Gangbildes nützlich ist, kann – mit einiger Übung – die ausschließliche visuelle Beurteilung des Ganges ausreichen.

Hier ist es wichtig, die Phaseneinteilung der Gangabwicklung zu beachten, da nicht alle Bewegungen des Körpers, des Beines und Fußes auf einmal mit dem Auge erfasst werden können (siehe Anmerkung zur Erfassung des allgemeinen Gangbildes). Unerlässlich ist deshalb die Dokumentation einzelner Abschnitte der Gangabwicklung. Ist keine Raumlänge von mindestens sechs bis acht Metern vorhanden ist als Ersatz ein Laufband notwendig. Das hat auch den Vorteil, dass eine Videokamera den Gang aufzeichnen kann und sich einzelne Abschnitte der Gangabfolge wiederholen lassen. Zu Beginn – in der Lernphase der Biomechanik – ist dieses eine wertvolle Hilfe.

Fast alle Patienten sind zu Beginn einer Gangbeurteilung verkrampft. Entspannung lässt sich erreichen, wenn der Patient für einen Augenblick mit den Füßen abwechselnd auf der Stelle tritt. Nach kurzer Zeit des „Einlaufens“ wirkt der Gang überwiegend unverfälscht.

Die Standphase des Fußes – während der Gangabwicklung – liegt zwischen dem Fersenkontakt und dem Abheben der Zehen vom Boden. Es ist der Abschnitt, in der die plantare Fußfläche Bodenkontakt und Standfestigkeit besitzt. Hierdurch erhält der Körper den erforderlichen Halt, wenn sich das gegenüberliegende Bein in der Schwungphase befindet – also keinen Bodenkontakt mehr hat.

Im Vergleich beider Fußstellungen lässt sich aus der Standphase des Fußes erkennen:

  • wie weit der Fuß nach außen (abduziert) oder innen (adduziert) gestellt ist;
  • die Ferse zu früh angehoben wird;
  • eine nach außen (abduzierende) Drehung des Vorfußes eingeleitet wird, bevor die Zehen vom Boden abheben.

Das Gangbild eines nach außen (abduziert) gestellten Fußes, eine frühe Fersenanhebung oder der nach außen abduzierende Vorfuß nach der Fersenanhebung, sprechen eventuell für eine eingeschränkte Streckung (Dorsalextension) des oberen Sprunggelenks.

Hebt der Patient die Ferse zu früh an, vermeidet er eine Streckung des oberen Sprunggelenks. Dies geschieht auch durch kürzere Schritte oder einem wippenden Gang. Da der Fuß nicht mehr über den Weg der Großzehe abrollt, muss das Defizit durch eine veränderte Fußstellung oder ein verändertes Gangbild ausgeglichen werden.

Diese Schlussfolgerung erhärtet sich, wenn sie mit den zuvor durchgeführten Teilen der klinischen Untersuchung (in diesem Fall: Test der Gelenkfunktion des oberen Sprunggelenks) übereinstimmt. Erst die Zusammenfassung aller Teile der Untersuchungsergebnisse, lässt eine sichere Beurteilung der Beschwerdeursachen zu.

Die amerikanischen Podiatrists Paul Scherer und Jack Morris haben eine Klassifizierung vorgenommen, welche auch die unterschiedlichen Vorfuß-/

Rückfuß-Stellungen mit einbeziehen. Anschließend wurde eine Einteilung nach Fußtypen erstellt, die es erleichtert Schlussfolgerungen aus strukturell bedingten Fehlstellungen des Fußes zu ziehen. Die Charakteristiken der Fußtypen lassen Rückschlüsse auf mögliche Pathologien und deren Auswirkungen auf den Fuß zu.

Einteilung der Fußtypen (nach Scherer und Morris)

Es bestehen neun mögliche Klassifikationen der Fußtypen bei denen sich bestimmte Auffälligkeiten wiederfinden lassen (siehe Tab. 1). Ausgeschlossen von diesem System sind unter anderem neuromuskuläre Erkrankungen, weil sie nach der eingeschränkten Funktion des Körpers (z. B. Lähmungen) eine eigene Kategorie beanspruchen.

Die Fußtypen 1–3 in der oberen (dunkelgrünen) Reihe der Tabelle passen zu den oben geschilderten Auffälligkeiten des Gangbildes und einem Teilergebnis der klinischen Untersuchung. Zu der ersten Tabellenreihe gehören auch Füße mit hoher Sprengung (hoher medialer Gewölbebildung), deren Muskulatur grundsätzlich sehr verspannt ist. Eine genauere Differenzierung der Fußtypen ist grundsätzlich – wie erwähnt – erst nach Auswertung aller gefundenen Ergebnisse der Untersuchung möglich. Deshalb blieben zum Beispiel die Stellung des Chopart-Gelenks und die ­Reaktion auf seine Belastung bei den ­Beschreibungen unberücksichtigt. Sein Einfluss auf die Stabilität des Fußes erfordert eine eigene Betrachtung.

Fußtypen in der Kurzübersicht

Von den Pathologien für den Patienten – der den Fußtypen 1 – 3 zuzuordnen wäre – folgt nun eine Kurzfassung.

Beim Fuß-Typ Nr. 1 setzt die Ferse beim Bodenkontakt invertiert auf und bleibt – mit nur geringer Ausgleichsbewegung (Kompensation) – in dieser Rückfußstellung nahezu bestehen. Ohne die Valgusstellung des Vorfußes weiter einzubeziehen ist die Schockabsorption des Fußes gering.

Mögliche Pathologien:

  • Haut: je nach Valgus-Winkel des Vorfußes ohne plantare Verhornung (Hyperkeratose) des Fußes.
  • Neurologisch: Morton Neuralgie zwischen dem 3. + 4. Metatarsalköpfchen möglich.
  • Muskulatur / Sehnen / Knochen: ­Haglund-Exostose, Fersensporn, verspannte Muskulatur.

Beim Fuß-Typ Nr. 2 bleibt die Ferse ebenfalls nach dem Bodenkontakt invertiert. Um die mediale Seite des Vorfußes in Bodenkontakt zu bringen muss der Fuß bei der Gangabwicklung nach außen (abduziert) gestellt werden.

Mögliche Pathologien:

  • Haut: Verhornung (Hyperkeratose) unter den 4. + 5. Metatarsalköpfchen.
  • Neurologisch: unauffällig.
  • Muskulatur / Sehnen / Knochen: Haglund-Exostose, Fersensporn (durch ungenügende Schockabsorption), Schneiderballen (Ballen der 5. Zehe).

Der Fuß-Typ Nr. 3 berührt mit in­vertierter Ferse den Boden. Da die innere (mediale) Vorfußseite ebenfalls invertiert steht, berührt sie den Boden nicht. Die äußere (laterale) Fußseite wird dadurch mehr belastet. Zur Gangabwicklung abduziert der Fuß um seine mediale Seite in Bodenkontakt zu bringen.

Mögliche Pathologien:

  • Haut: Verhornung (Hyperkeratose) hauptsächlich unter dem 5. Metatarsalköpfchen.
  • Neurologisch: unauffällig.
  • Muskulatur / Sehnen / Knochen: deutlich hohe Sprengung des Fußes; oft Hammerzehe (Digitus malleus) der 2. Zehe. Durch die eingeschränkte Bewegung des Großzehenstrahls bildet sich leicht eine Versteifung des Großzehengrundgelenks (Hallux rigidus) aus.

Ein klareres Bild vom Patienten

Die Patienten suchen unsere Praxis auf, um Haut- und Nagelprobleme beheben zu lassen. Der Podologe sollte darüber hinaus die Hintergründe einer Überlastung des Fußes, des Knies, der Hüfte und des Rückens einordnen können.

Wenn nach Auswertung einer Fußuntersuchung und des Gangbildes pathologische Prozesse erkannt wurden, ist es erforderlich den Ursachen der Fehlbelastung nachzugehen. Nicht weniger wichtig ist die Hilfe für den Patienten, die Möglichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit und die Orientierung für den Behandler. Diese Herausforderung des Therapeuten ist nur durch das Mehr an Wissen und mehr Kompetenz für das Problem des Patienten zu bewältigen. Mit einem klareren Therapiebild ist dies keine Schwierigkeit mehr. «

Literatur
  • Klaus Grünewald, „Theorie der medizinischen Fußbehandlung Band 3 – Podologische Biomechanik“, Verlag Neuer Merkur, Planegg (2014) ISBN: 978-3-95409-013-6
Literatur
  • Klaus Grünewald, „Theorie der medizinischen Fußbehandlung Band 3 – Podologische Biomechanik“, Verlag Neuer Merkur, Planegg (2014) ISBN: 978-3-95409-013-6
Literatur
Öffnen Schließen
Foto: Eakrin/Adobe Stock
Zurück
Speichern
Nach oben