Warum sinkt das untere Sprunggelenk ab?
Als Hyperpronation bezeichnet man eine anomale Absenkung des inneren (medialen) Fußgewölbes. Sie wird hauptsächlich nach dem Grad der Außenstellung (Grad der Eversion) der Ferse und der Absenkung des Kahnbeins (Os naviculare) beurteilt. Diese Fehlstellung des Fußes wird durch das untere Sprunggelenk (Subtalargelenk) wesentlich beeinflusst. Beide – Ferse und unteres Sprunggelenk – bilden im belasteten sowie unbelasteten Zustand eine Einheit für die dreidimensionale Bewegung des Fußes. Sie ermöglicht die Pronation (u. a. Senkung des inneren Fußrandes) und Supination (u. a. Hebung des inneren Fußrandes).
Als Folgen der Hyperpronation können eine Reihe von Fußerkrankungen entstehen, wie zum Beispiel der Fersensporn (Plantarfasciitis), die Achillestendopathie, Stresssyndrome der langen Fußmuskulatur (z. B. M. tibialis anterior und M. tibialis posterior) sowie Kniebeschwerden. Die Erkrankungen sind in der Bevölkerung sehr verbreitet.
Als Ursache für die Hyperpronation haben unterschiedliche Studien nachzuweisen versucht, ob die Vorfußstellung einen Einfluss auf die Pronation des Subtalargelenks haben kann.
In den Fokus geriet hier der Vorfuß-Varus, eine strukturell (knöchern) bedingte Anomalie des Fußes, bei welcher der Vorfuß invertiert zum Rückfuß steht (Abb. 1).
Um dem Fuß beim Gehen eine größtmögliche Stabilität zu geben, proniert der Rückfuß beim Vorfuß-Varus, um auch die übrigen Metatarsalköpfchen in Bodenkontakt zu bringen. Der Vorfuß-Varus, der in der Regel nur die Vorfuß-Außenkante belasten würde, ist hierdurch kompensiert.
Da die Hyperpronation des unteren Sprunggelenks auch bei jungen Menschen verbreitet ist, könnte ein rechtzeitiges Gegensteuern dieser Fehlstellung spätere Beschwerden vermeiden helfen.
Die Studie
Die Freie Universität São Carlos (Brasilien) versuchte nachzuweisen, ob es eine Beziehung zwischen der Vorfußstellung und der Hyperpronation des unteren Sprunggelenks gibt [1]. Gezielt wollte man der Frage nachgehen, ob ein Vorfuß-Varus gerade bei jungen Menschen eine Hyperpronation des Subtalargelenks voraussagen kann. Darauf aufbauend könne man, so der Gedanke, Rehabilitationsmaßnahmen nach Fußverletzungen gezielter einsetzen.
Die Pronation kann mit unterschiedlichen Untersuchungen bestimmt werden. Die dazu am häufigsten genutzten Verfahren sind:
– der Test der „Absenkung des Naviculars“, bei der die Höhe des Os naviculare im Stand bestimmt wird. Dies geschieht zuerst in Neutralstellung des Subtalargelenks und anschließend in entspannter Stellung des Fußes. Eine Absenkung des Naviculars von mehr als 10 Millimeter deutet auf eine starke Pronation des Subtalargelenks hin [2].
– die Bestimmung des „Rückfußwinkels im Stehen“. Er wird mit dem Goniometer (Abb. 3) gemessen. Referenzlinien sind die Mittellinie des Calca-neus und die Mittellinie des distalen Unterschenkeldrittels. Wenn in entspannter Fußstellung ein Winkel von mehr als 8° Eversion des Rückfußes besteht, deutet dies auf eine Hyperpronation des Subtalargelenks hin.
Die Tests für den „Rückfußwinkel im Stehen“ sowie für die „Absenkung des Naviculars“ erfordern keine nennenswerten Investitionen. Beide Untersuchungsarten gelten als zuverlässige Verfahren.
Auswahl der Teilnehmer
Es stellten sich 28 Jungen und 26 Mädchen (n = 54) im Alter zwischen 14 und 18 Jahren aus den Schulen der Umgebung für diese Studie zur Verfügung. Die Ausschlusskriterien waren:
- eine angeborene Deformität des Unterschenkels;
- eine Fußoperation oder eine Verletzung des Unterschenkels innerhalb der letzten sechs Monate;
- eine strukturell bedingte evertierte Vorfußstellung (Vorfuß-Valgus).
Methode
Alle Messungen nahm der gleiche Untersucher vor. Durch einen Assistenten wurden die Ergebnisse notiert.
Bestimmung des Vorfußwinkels zur Beurteilung des Vorfuß-Varus
Die Vorfußwinkel wurden in Bauchlage der Teilnehmer ermittelt. Nachdem der Fuß in die Frontalebene gebracht worden war, zeichnete man die Mittellinie der Ferse ein. Durch Palpation wurde die Neutralstellung des unteren Sprunggelenks ermittelt und der eine Arm des Goniometers zur Ebene der Mittelfußköpfchen und der zweite Arm des Instruments zur plantaren Ebene des Rückfußes ausgerichtet. Als Hilfslinie hierzu galt die Mittellinie der Ferse, zu welcher der zweite Arm des Goniometers im rechten Winkel liegen musste.
Aus Gründen der Zuverlässigkeit wurden alle Messungen drei Mal wiederholt und ein Durchschnittswert errechnet. Außerdem entfernte man bei 15 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Teilnehmern die Markierungen, um nach zwei Stunden die Messung der Vorfußstellung durch den gleichen Untersucher zu wiederholen.
Bestimmung des Rückfußwinkels zur Beurteilung der Pronation
Um für jeden Teilnehmer die ihm eigene Winkelstellung des Fußes im Stand zu erhalten, wurde eine Gangschablone hergestellt.
Hierzu ging jeder Teilnehmer eine Wegstrecke von zirka drei Metern in seiner gewohnten Geschwindigkeit und blieb dann auf einem 45 x 60 Zentimeter großen Stück Papier in entspannter Haltung stehen. Anschließend wurde die Winkelstellung beider Füße mit einem Stift umzeichnet.
Zur Bestimmung des Rückfußwinkels (in der Gangschablone) stand der Teilnehmer zur leichteren Ablesbarkeit des Messergebnisses auf einem Podest. Wie beschrieben, wurde hierzu ein Goniometer für den Winkel zwischen der Mittellinie des distalen Unterschenkeldrittels und der Mittellinie der Ferse eingesetzt.
Nach dem Zufallsprinzip wurde entweder das rechte oder linke Bein eines Teilnehmers für die Untersuchung ausgewählt (n = 37).
Die Bestimmung der Kahnbeinabsenkung
Zur Messung der Kahnbeinabsenkung wurde der knöcherne Vorsprung des Kahnbeins ertastet und mit einem Filzstift waagerecht markiert. Anschließend stellte man ein rechtwinkelig geschnittenes festeres Papier (ca. 200g/m2 ) hochkant auf den ebenen Boden und übertrug die Höhe der Kahnbeinmarkierung zunächst in Neutralstellung des Subtalargelenks auf das Papier (Abb. 4 – 6).
Auswertung
Die Ergebnisse zeigten einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Vorfuß-Varus und der Hyperpronation des Subtalargelenks.
Der Vorfuß-Varus ging bei 74 Prozent der Teilnehmer mit einem erhöhten Rückfußwinkel (> 8°) einher, was als eindeutige Hyperpronation des Rückfußes zu deuten ist.
Bei dem Test der Navicularabsenkung betrug der Abstand zwischen den Markierungslinien bei 58 Prozent der Teilnehmer mehr als 10 Millimeter.
Nahezu 50 Prozent der Probanden in der aktuellen Studie (13 Mädchen und 11 Jungen) wiesen einen Vorfuß-Varuswinkel von mehr als 8° auf. Dies mag ein Grund dafür sein, dass es zu Unterschieden in den Ergebnissen der beiden Testmethoden kam. In vorausgegangenen Studien hatten andere Autoren [3] festgestellt, dass ein Vorfuß-Varuswinkel von mehr als 8° in anderen Bereichen des Bewegungsapparates weitere Kompensationen verursacht hatten.
Die Erkenntnisse der vorliegenden Studie stimmen mit den Untersuchungen von Buchanan und Davis [3] überein, die ebenfalls einen Zusammenhang zwischen dem Vorfuß-Varus, dem Rückfußwinkel und der Absenkung des Os navicularis festgestellt haben. Sie bezog sich – im Gegensatz zur neuen Studie – auf Menschen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Hierin lag der Prozentsatz für den Einfluss des Vorfuß-Varus auf die Pronation allerdings deutlich niedriger.
Als Begründung für den höheren Einfluss des Vorfuß-Varus bei jungen Menschen führte man an, dass Heranwachsende weniger statische und dynamische Fußstabilität im Vergleich zu Erwachsenen aufweisen. Folglich sei hieraus zu schließen, dass der Rückfuß bei Heranwachsenden störanfälliger in Bezug auf die Vorfußfehlstellung ist und eine stärkere Pronation des Mittel- und Rückfußes erkläre.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass es auch andere Gründe für die Hyperpronation geben kann, wie zum Beispiel einen insuffizienten 1. tibialis posterior, der bei älteren Erwachsenen häufiger vorkommt. Deshalb kann eventuell eine andere Ursache als die Vorfußstellung einen Einfluss auf die Pronation des Subtalargelenks haben.
Es gibt natürlich Forschungen, die einen gegenteiligen Beweis für die Vorfuß-Varus-Fehlstellung geführt haben. Als Ursache der Fehlstellung sieht man eher eine Fehlentwicklung des Muskelgewebes als einen unveränderlichen strukturellen Einfluss[4].
Letztendlich wird mehr Forschung notwendig sein, um Klarheit in den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen dem Vorfuß-Varus und der Hyperpronation des Subtalargelenks zu bringen.
Das geschilderte Untersuchungsergebnis, dass Menschen mit einem Vorfuß-Varus häufig eine Hyperpronation des Subtalargelenks aufweisen, erscheinen mir plausibel. In der podologischen Praxis sollte man aus meiner Sicht immer den Vorfußwinkel einbeziehen, wenn Orthosen wegen Fehlstellungen der Füße empfohlen werden. Diese Ansicht wurde ebenfalls in einem Bericht über maßgefertigte Orthosen unterstützt, die durch Kompensation des Vorfuß-Varus die Kniebeschwerden beim Patellafemoralen Schmerzsyndrom enorm verringern konnten [5]. «
Anschrift des Verfassers:
Klaus Grünewald
Braunschweig
podologie.gruenewald@t-online.de
- Rodrigo Scattone Silva (MSc), Ana Luisa G. Ferreira (PT), Livia N Veronese (PT), Fabio V. Serráo (PhD) „Forefoot Varus Predicts Subtalar Hyperpronation in Young People“; Journal of the American Podiatric Medical Association: (2014) No. 6.
- M.J. Mueller, J.V. Host, B.J. Morton „Navicular drop as a composite measure of excessive pronation“; Journal of the American Podiatric Medical Association: (1993) No. 83.
- K.R. Buchanan, J. Davis „The realationship between forefoot midfoot and rearfoot static alignment in pain-free Individuals“; Journal of Orthopaedic and Sports Physical Therapie“ (2005) No. 35.
- R.S. Lufler, T.M. Hoagland, J. Niu, et al. „Anatomical origin of forefoot varus malalignment“; Journal oft he American Podiatric Medical Association: (2012) No. 102.
- P.V. Munuera, R. Mazoteras-Pardo „Benefits of custom-made foot orthosis in treating patellafemoral pain“; Prosthetics and Orthotics International (2011) No. 35.
- Klaus Grünewald, „Theorie der medizinischen Fußbehandlung Band 3 – Podologische Biomechanik“; Verlag Neuer Merkur, Planegg (2014), ISBN: 978-3-95409-013-6.
- Rodrigo Scattone Silva (MSc), Ana Luisa G. Ferreira (PT), Livia N Veronese (PT), Fabio V. Serráo (PhD) „Forefoot Varus Predicts Subtalar Hyperpronation in Young People“; Journal of the American Podiatric Medical Association: (2014) No. 6.
- M.J. Mueller, J.V. Host, B.J. Morton „Navicular drop as a composite measure of excessive pronation“; Journal of the American Podiatric Medical Association: (1993) No. 83.
- K.R. Buchanan, J. Davis „The realationship between forefoot midfoot and rearfoot static alignment in pain-free Individuals“; Journal of Orthopaedic and Sports Physical Therapie“ (2005) No. 35.
- R.S. Lufler, T.M. Hoagland, J. Niu, et al. „Anatomical origin of forefoot varus malalignment“; Journal oft he American Podiatric Medical Association: (2012) No. 102.
- P.V. Munuera, R. Mazoteras-Pardo „Benefits of custom-made foot orthosis in treating patellafemoral pain“; Prosthetics and Orthotics International (2011) No. 35.
- Klaus Grünewald, „Theorie der medizinischen Fußbehandlung Band 3 – Podologische Biomechanik“; Verlag Neuer Merkur, Planegg (2014), ISBN: 978-3-95409-013-6.