Wirrwarr Rentenversicherung
Trotzdem bleiben viele Fragen im Detail unklar. Rechtsanwalt Michael W. Felser aus Brühl ist Arbeitsrechtsexperte, insbesondere liegt einer seiner Arbeitsschwerpunkte im Bereich der sogenannten „Scheinselbstständigkeit“. Er stellt sich den Fragen von Petra Zimmermann.
Herr Felser, nach dem Urteil des Bundessozialgerichts sind in eigener Praxis tätige selbstständige Podologen (Fußpfleger) rentenversicherungspflichtig als „Pflegeperson“ im Sinne des § 2 Nr. 2 SGB VI. Gilt das allgemein für alle Podologen und Fußpfleger oder sind da Unterschiede zu machen?
Generell sind innerhalb der Berufsgruppe der Podologen beziehungsweise Fußpfleger drei erhebliche Unterschiede festzustellen, die man beachten muss:
Der erste Teil dieser Berufsgruppe sind „echte“ Selbstständige, die auf ärztliche Verordnung tätig werden und keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Sie sind rentenversicherungspflichtig.
Teil 2 dieser Berufsgruppe sind „echte“ Selbstständige, die einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen oder nicht auf ärztliche Verordnung arbeiten, also zum Beispiel bei rein kosmetischer Fußpflege. Sie sind rentenversicherungsfrei und – wenn sie nicht zu Teil 3 gehören – auch sozialversicherungsfrei.
Und Teil 3 dieser Berufsgruppe sind Scheinselbstständige, da sie weisungsgebunden für einen Auftraggeber arbeiten und in dessen Organisationsstruktur eingebunden sind. Im Detail gibt es leider sowohl bei der Weisungsbindung als auch der betrieblichen Eingliederung viele offene Fragen.
Wieso sind diese Unterscheidungen für die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung relevant?
Wenn Podologen/Fußpfleger nicht auf ärztliche Verordnung tätig sind, besteht auch keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Bei gemischten Tätigkeiten kommt es nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung (DRV) darauf an, ob man diese trennen kann, dann würde eine teilweise Rentenversicherungspflicht für die Tätigkeiten, die auf ärztliche Verordnung erfolgen, angenommen.
Kann eine Trennung nicht vorgenommen werden, entscheidet die überwiegende Tätigkeit über die Rentenversicherungspflicht. Dabei betrachtet die DRV sowohl die Anzahl der Patienten als auch den zeitlichen Aufwand für die Pflege/Behandlung. Die Frage der Abrechnung der Leistung (über eine gesetzliche Krankenkasse oder privat) soll dagegen nicht maßgebend sein.
Spielt die Art der Ausbildung eine Rolle? Ist es relevant, ob man medizinische und kosmetische Fußpflege betreibt?
Die Versicherungspflicht ist unabhängig von der Ausbildung oder vom Abschluss. Maßgeblich ist, ob man auf ärztliche Anordnung tätig ist oder nicht.
Ist die Kassenzulassung dafür ein entscheidender Grund?
Für die Versicherungspflicht nicht. Es kommt nur darauf an, ob man konkret auf ärztliche Verordnung tätig wird oder nicht.
Ist es für die Versicherungspflicht wichtig, ob man schon länger als Podologe beziehungsweise Fußpfleger tätig ist oder gerade erst anfängt?
Nein, leider nicht. Podologen/Fußpfleger, die vor dem 1. April 2012 ihre selbstständige Tätigkeit aufgenommen haben, können sich nicht auf Bestandsschutz berufen. Die DRV hat ihre miss-verständlichen Mitteilungen, nach denen sich auch die Podologen wie die Logopäden auf Vertrauensschutz berufen können, leider aufgegeben.
Können Sie das kurz erläutern?
Bei Logopäden wird aufgrund der geänderten Rechtsprechung aus Gründen des Vertrauensschutzes die alte Rechtsauffassung der DRV, nach der diese nicht als „Pflegepersonen“ anzusehen waren, aufrechterhalten. Nur bei Logopäden, die nach dem 1. April 2012 ihre selbstständige Tätigkeit aufgenommen haben, nimmt die DRV Rentenversicherungspflicht an. In einem Rundschreiben klang der Text noch so, als ob das auch für Podologen gelten soll. Leider hat die DRV inzwischen klargestellt, dass „Selbstständig tätige Podologen (medizinische Fußpfleger)“ auch bisher schon als rentenversicherungspflichtig angesehen wurden. Eine Vertrauensschutzregelung gibt es für sie daher nicht. Die insoweit missverständliche Formulierung im 108. Rundschreiben wird hiermit klargestellt.“
Was ist mit Existenzgründern, die eine podologische Praxis eröffnen wollen?
Leider gibt es eine gänzliche Befreiung von der Rentenversicherungspflicht (auf Antrag) in den ersten drei Jahren nach Existenzgründung nur für Selbstständige mit einem Auftraggeber im Sinne des § 2 Nr. 9 SGB VI, nicht aber für die Pflegepersonen in § 2 SGB Nr. 2 VI. Das scheint mir zwar eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu sein, ist aber ebenfalls noch nicht gerichtlich geklärt. Allerdings können alle rentenversicherungspflichtigen Selbstständigen in den drei auf das Jahr der Existenzgründung folgenden Jahre (also bis zu vier Jahre) den halben Regelbeitrag (zur Zeit 278,16 EUR) monatlich wählen – anstelle des normalen Regelbeitrags oder der einkommensabhängigen Beitragsberechnung.
Wer nur kosmetische Fußpflege und nur in fremder Praxis (also als Selbstständiger mit einem Auftraggeber) anbietet, könnte aber die Befreiung als Existenzgründer beantragen.
Kann man anstelle der Pflichtbeiträge nicht besser freiwillige Beiträge zahlen?
Nein, Versicherungspflicht kann nicht in eine freiwillige Versicherung umgewandelt werden. Die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge bemisst sich – wenn man die einkommensbezogene Beitragszahlung gewählt hat – nach dem Gewinn, nicht nach dem Umsatz. Dabei muss man beachten, dass Nachforderungen der DRV grundsätzlich sofort fällig sind! Es ist möglich, eine Stundung zu beantragen, aber das ist vom Wohlwissen des Sachbearbeiters abhängig!
Podologen arbeiten ja in der Regel in eigener Praxis. Was ist mit mobilen Fußpflegern oder solchen, die in einer fremden Praxis arbeiten?
Auch mobile Fußpfleger oder in einer fremden Praxis selbstständige Podologen können rentenversicherungspflichtig sein, entscheidend ist nur die ärztliche Verordnung. Bei letzteren wird von der DRV oft noch der Tatbestand der Scheinselbstständigkeit geprüft.
Wer gilt als scheinselbstständig?
Selbstständige Podologen/Fußpfleger, die in der Praxis von anderen Selbstständigen arbeiten, können scheinselbstständig sein. Als Scheinselbstständiger gilt man, wenn man weisungsgebunden für einen Auftraggeber arbeitet und in dessen Organisationsstruktur eingebunden ist. Die Weisungsgebundenheit ist auslegefähig. Schwierigkeiten bekommt dann nicht der Scheinselbstständige, sondern sein Auftraggeber. Auftraggeber ist derjenige, dem der Fußpfleger die Rechnung stellt. Letztendlich kann die Zusammenarbeit einer Praxis mit einem „Subpodologen“ nachhaltig gestört werden.
Wie kann man hier den Tatbestand der Scheinselbstständigkeit ausräumen?
Indem der Subpodologe ein Unternehmerrisiko trägt, zum Beispiel anteilige Miete oder Gebühren für die Vermittlung von Patienten oder die Benutzung von Praxisinventar. Oder gemeinsam die Mitarbeiter der Praxis als Arbeitgeber beschäftigt. Auch ein eigener sozialversicherungspflichtiger Mitarbeiter wird von der DRV bei der Frage der Scheinselbstständigkeit und nicht nur bei der Frage der Rentenversicherungspflicht berücksichtigt.
Wie wirkt sich denn die Beschäftigung von Angestellten auf die Versicherungspflicht aus?
Selbstständige Podologen beziehungsweise Fußpfleger, die sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigen, sind rentenversicherungsfrei. Man darf, im Gegensatz zum alten Gesetz von 1999, heute Familienangehörige anstellen. Das Arbeitsverhältnis muss allerdings glaubwürdig belegt werden. Und die Beschäftigung hilft auch bei der Verhütung von Scheinselbstständigkeit als ein wichtiges Merkmal.
Muss man bei der Beschäftigung von Angestellten etwas beachten?
Seit 2013 ist die Minijobgrenze auf 450 Euro angehoben worden. Der sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter müsste demnach mindestens 451 Euro verdienen. Das Bundessozialgericht erlaubt aber auch die Beschäftigung mehrerer Minijobber, die zusammen jedoch mehr als 450 Euro erhalten müssen.
Können sich selbstständige Podologen/ Fußpfleger auch einen Angestellten sozusagen teilen, um diese Lohngrenzen zu überschreiten?
Ja, das ist möglich, sie könnten sich zum Beispiel eine Kraft oder mehrere für den Empfang oder die Buchhaltung teilen. Sie müssen dann aber gemeinsam, also als GbR, die Arbeitnehmer tragen.
Wie können Podologen beziehungsweise Fußpfleger fachlichen Rat einholen?
Nicht beim Steuerberater, denn diese dürfen im Sozialversicherungsrecht nicht beraten. Juristischer Rat ist ratsam, es geht schließlich mitunter um hohe Nachzahlungen. Bei uns ist es möglich, einen telefonischen Beratungstermin zu vereinbaren oder eine verschlüsselte Onlineberatung anzufragen. Auch andere Kollegen bieten diese Möglichkeiten an. Achten Sie aber bei diesem komplexen Rechtsgebiet auf eine Spezialisierung. Sie würden bei Fußproblemen ja auch nicht zum Logopäden gehen. «