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2. März 2022
Anja Stoffel
DER FUSS Kolumne

Was wir voneinander lernen können

Eine liebe Freundin, die als Podologin tätig ist, berichtete mir kürzlich von einem Erlebnis der besonderen Art. Eine neue Patientin kam mit Hautproblemen in die Praxis und wurde nach allen Regeln der Kunst behandelt und beraten. So weit, so gut: Alles lief nach Plan. Als sie mit der Patientin zum Schluss das passende Pflegeprodukt bespricht, erwidert diese: „Ach bitte, halten Sie es mir doch einmal in die Handykamera, dann kann ich es fotografieren und im Internet nachschauen, ob ich es irgendwo günstiger bekomme.“
Grafik
Grafik: Cornelia Meier/C. Maurer Fachmedien

Eine eher unschöne Geschichte. Unsere Kollegin hat aber großartig reagiert. Sie nahm der Patientin die Pflege wieder aus der Hand und sagte: „Nein, Frau Mustermann, das werde ich nicht tun. Sie wurden von mir behandelt und beraten. Ich habe das nach meiner Erfahrung passende Produkt für Sie herausgesucht. Gerne können Sie meine Empfehlung bei mir direkt mitnehmen – oder sich selbst auf die Suche nach etwas machen, das ihre Probleme löst.“

Diese Geschichte hat in mir mehrere Reaktionen ausgelöst: Zunächst hat mich die Gedankenlosigkeit abgestoßen, mit der die Patientin wegen ein paar Cents einen anderen Anbieter, etwa eine Apotheke, bevorzugt und so das Vertrauensverhältnis belastet. Das geschieht nicht vorsätzlich, offenbart aber dennoch Vorbehalte. Die Annahme der Patientin, dass die Praxis sich auf ihre Kosten um diese paar Cents „bereichert“, ist nicht in Ordnung. Unsere deutsche Dumpingpreis-Mentalität richtet viele Schäden an. Und nicht nur finanzieller Art, das ist sicher.

Für mich ist dieser Vorfall aber auch ein schönes Beispiel dafür, wie wichtig eine klare Kommunikation ist. Aufgestaute Emotionen und negative Gedanken wie „Ich werde ausgenutzt“ belasten das Vertrauensverhältnis unterschwellig. Selbst ohne allzu tief in die Psychologie abzudriften, können wir uns vorstellen, wie die Zusammenarbeit weitergegangen wäre, hätte die Kollegin dem Fotowunsch ohne Widerrede entsprochen. Hier wurde auf höfliche Art eine Grenze gesetzt. Mit einem gut trainierten Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein für die eigene Leistung war sie in der Lage, so spontan und eloquent zu reagieren. Hut ab!

Pflege aus einer Hand ist im besagten Fall zudem die medizinisch richtige Entscheidung. Schließlich wird der Therapieprozess unübersichtlich, wenn die Patientinnen und Patienten zentrale Bestandteile im Selbstversuch übernehmen. Sind die Hautprobleme akut, ist es schwierig, den Behandlungserfolg zu steuern oder deren Behandlung bei Misserfolg anzupassen, wenn man den Parameter „Pflegeprodukt“ nicht kennt.

Wer empfiehlt seinen Patienten eine Klebespange aus der Drogerie zum Selbstaufsetzen zur Orthonyxie? Sicherlich niemand. Da sind wir uns einig, ganz klar. Bei Cremes fällt die Entscheidung vermutlich nicht so eindeutig aus. Aber ist Pflege wirklich weniger wichtig als Orthonyxie – und kann diese den Patientinnen und Patienten selbst überlassen werden? Nicht, wenn die Haut das zentrale Therapiethema ist.

Die klare Aussprache mit der Patientin hat im Übrigen zum Kauf des Pflegeproduktes und zu einer bereinigten „Beziehungshygiene” geführt. Bei mir hat die Geschichte lange nachgewirkt. Ich bin mir sicher, Ihnen geht es ebenso.

Gute und offene Gespräche mit Ihren Patientinnen und Patienten wünscht

Anja Stoffel

 

Porträtfoto
Foto: Anja Stoffel/www.podovision.de
Anja Stoffel, Podologin B.Sc. und Physiotherapeutin, ist am liebsten in verschiedenen Settings im Auftrag der Therapieberufe unterwegs. Auf www.podovision.de bietet sie digitale Fortbildungen zu praxisrelevanten Themen unter dem Motto „Kopfsachen für Fußmenschen” an. Besonders am Herzen liegt ihr die nachhaltige Zusammenarbeit aller Beteiligten in der Podologie – dem schönsten Beruf der Welt!
Foto: Eakrin/Adobe Stock
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