Machen Sie’s schön kurz!
Hand aufs Herz: Wie häufig hören Sie den Satz „Machen Sie’s schön kurz“? Gerne ergänzt um den Zusatz „… sonst gehen mir die Strümpfe kaputt“. Gerne auch in der Variante „Sie können ruhig kürzer“. Oder – mit vorwurfsvollem Unterton – „letztes Mal war es mir nicht kurz genug, alle meine (Perlon-)Strümpfe haben Ihretwegen Laufmaschen“.
Früher habe ich dazu innerlich den Kopf geschüttelt; das Ganze als schrullige Marotte abgetan. Wie man gimmelige Polyestersöckchen wichtiger als gesunde Zehen finden kann, war mir schleierhaft. Danach kam eine Phase, in der ich mich selbst gefragt habe, wie nachgiebig und erpressbar ich bin, wenn es um Behandlungswünsche geht. Ob ich immer dem berufsethischen Grundsatz folge, dass das medizinisch Richtige getan werden muss? Und eben nicht das (kosmetisch) Gefällige oder „Gewünschte“. Immer wieder habe ich mich über mich selbst geärgert, wenn ich dienstbeflissen Wünsche erfüllt und dabei medizinische Sachverhalte vernachlässigt habe.
Schluss damit! Inzwischen bin ich ziemlich cool. Mich befreit die klare Orientierung an medizinischen Kriterien von Konflikten. Nicht mehr „Patient vs. Podologin“, sondern „Patient vs. podologische Behandlungsstandards“. Meine Entscheidungskriterien sind nicht ausgedacht. Sie basieren auf Schwarmwissen, Erfahrungen und Expertenstandards – jedenfalls bis wir wirkliche Podologie-Behandlungsforschung haben. Zudem schätzen „therapiebereite“ Patienten klare Informationen zur Gesunderhaltung ihrer Füße, was ein guter Indikator zur Vergabe von Behandlungsplätzen ist. Oder umgekehrt für eine Auslese derjenigen, die in der Fußpflege besser aufgehoben sind.
Am Ende trägt jeder selbst die Verantwortung für den eigenen Körper und wird von uns (nur) unterstützt.
Der Dienstleistungsgedanke sollte nach 20 Jahren Podologie vom Tisch sein. Wer hat recht, wenn es um die Füße geht? In der Regel wir, mit unserem breiten Fachwissen. Deshalb sollte die Orientierung zu Therapiedurchführung und -ergebnis bei uns liegen, in Abstimmung mit, aber nicht in (Eigen-)Regie der Patienten.
Eine Patientenhaltung nach dem Motto „Ich lasse mir das von jemandem wegmachen und kümmere mich um nichts“ ist gefährlich. Diese Personen sind keine Patienten, sondern Systemvampire. Am Ende trägt jeder selbst die Verantwortung für den eigenen Körper und wird von uns (nur) unterstützt. Wenn wir Patientinnen und Patienten nicht zur Selbstwirksamkeit erziehen und aktive Zuarbeit einfordern, stehlen wir uns ebenso aus der Verantwortung und dem Behandlungsvertrag wie diejenigen, die gerne „mal machen lassen“. Therapieplätze sind begrenzt und wir tragen eine Mitverantwortung an deren bestmöglicher Nutzung. Weg vom Abo auf Lebenszeit.
Übrigens: Überarbeitung durch fehlende Abgrenzung ist auch eine Form von Erpressbarkeit und missverstandener Dienstleistungsmentalität. „Machen Sie’s schön kurz“ kann guten Gewissens für Ihre Öffnungszeiten gelten, nicht aber für die Nagellänge.
Ihre Anja Stoffel