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4. November 2021
Redaktion

Woher nehmen, wenn nicht stehlen?



Zu einer erfolgreichen Podologie-Praxis gehört auch die Organisations- und Personalentwicklung, die allerdings häufig vernachlässigt wird. Ein Fehler, weiß Autor Dr. Jan Ries. Denn sie ist essenziell für die wirtschaftliche und personelle Stabilität des eigenen Betriebs und des gesamten Berufsstandes – heute und in der Zukunft.
Grafik: Daniel Ernst/Adobe Stock

Egal ob Friseurhandwerk, Bäcker, Handwerker, Lokführer, Lkw-Fahrer, Pflege oder Podologie – Auszubildende, Fachkräfte und Mitarbeitende zu gewinnen, ist für viele Berufsgruppen aktuell eine der wesentlichen gesellschafts- und arbeitspolitischen Herausforderungen.

 

Podologinnen und Podologen ­­gesucht

Auch die Podologie hat mit einem massiven Nachwuchs- und Fachkräftemangel zu kämpfen. Bundesweit waren laut Bundesagentur für Arbeit im Dezember 2020 nur 5.919 Personen sozialversicherungspflichtig im Bereich der Podologie tätig. Zwar lässt sich eine konstante Steigerung bei den sozialversicherungspflichtigen Podologinnen und Podologen erkennen (Grafik), der Zuwachs reicht aber bei Weitem nicht aus. Vielerorts wird ein Mangel an Mitarbeitenden beklagt. Offene Stellen bleiben oft Monate unbesetzt. Auch die Auszubildenden reichen keinesfalls aus, um den wachsenden Bedarf – allein bei der Behandlung von Diabetikerinnen und Diabetikern – zu decken. {pborder}
 

Ein verkanntes Berufsfeld

Dabei ist die Podologie ein ebenso krisensicheres wie attraktives Berufsfeld mit abwechslungsreichen Tätigkeiten. Auf Grundlage des Podologengesetzes (PodG) ist die Podologie als medizinischer Fachberuf und nicht ärztlicher Heilberuf definiert. Die Berufsbezeichnungen Podolog/in und medizinischer Fußpfleger/in sind gesetzlich geschützt. Sie dürfen selbstständige Leistungen in der eigenen Podologie-Praxis – oder auch mobil – mit oder ohne Kassenzulassung erbringen. Sie können außerdem als Mitarbeitende in Gemeinschaftspraxen, Krankenhäusern oder speziellen Fußambulanzen tätig werden. Die zahlenmäßig größte Patienten- beziehungsweise Kundengruppe sind Diabetikerinnen und Diabetiker mit Diabetischem Fußsyndrom (DFS). Sie können – vom Arzt verschrieben – eine Heilmittelverordnung zur podologischen Komplexbehandlung erhalten. Das heißt, die Patientengruppe ist gesichert, wird perspektivisch zunehmen und die Finanzierung ist über die Heilmittelverordnung gesichert. Hinzu kommt: Podologische Behandlungen sind sehr gefragt. Die Chancen, die eigene Praxis weiterzuentwickeln und vielleicht sogar zu expandieren, stehen also nicht schlecht.
 

Die Waage kippen

Die Entscheidung für oder gegen etwas ist immer ein Abwägen zwischen Pro und Contra. Dabei fließen sowohl objektive überprüfbare Fakten als auch subjektive Einschätzungen sowie meinungsbildende Informationen Dritter ein. Das bedeutet für Anbieter von Produkten und Dienstleistungen ebenso wie für Berufszweige wie die Podologie, dass nicht nur ein positives Image aufgebaut, sondern dieses auch strategisch bei den Podologinnen und Podologen von morgen platziert werden muss. Und der Pool ist groß: So sind etwa die Zugangsvoraussetzungen zur Ausbildung als Podologe recht niedrigschwellig – sie reichen vom Hauptschulabschluss in Kombination mit einer abgeschlossenen mindestens zweijährigen Ausbildung bis hin zum mittleren oder höheren Schulabschluss.
 

Nachwuchsgewinnung und -förderung

Um diese Chance zu nutzen, muss die Personal- und Nachwuchsgewinnung in der Podologie sowohl „Top down“, also von den Berufs- und Dachverbänden für die einzelnen Praxen, als auch „Bottom up“, von der einzelnen Podologin für den gesamten Berufsstand, geschehen. Aktuell sind die attraktive Außendarstellung des Berufsfeldes und die aktive Nachwuchsakquise allerdings noch keine expliziten satzungsgemäßen Aufgaben der Bundes- oder Landesverbände. Konsequenterweise haben sich – auch um das Thema Nachwuchsgewinnung und -förderung strategisch anzugehen –  der Verband leitender Lehrkräfte an Podologieschulen e. V. (VLLP) und die drei maßgeblichen Podologieverbände Bundesverband für Podologie e. V., Verband Deutscher Podologen (VDP) e. V. und der Deutsche Verband für Podologie (ZFD) e. V. zur „Interessengemeinschaft ­Podologie“ zusammengeschlossen. Gemäß einer Pressemitteilung vom 02.03.2021 verfolgt die Interessengemeinschaft unter anderem folgende Ziele: „Der Zusammenschluss verfolgt die Vision, ein Berufsbild nach internationalen Standards zu schaffen. Ziele der Zusammenarbeit sind die Stärkung der Podologie in der Gesellschaft, die Gewinnung von Fachkräften und die zukunftsweisende Gestaltung der Ausbildung. Das Spektrum umfasst z. B. eine zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit, Handlungsempfehlungen für die Anleitung und Einbindung von Auszubildenden in den podologischen Praxen.“
 

Vielfältige Herausforderungen

Demnach ergeben sich für den gesamten Bereich der Podologie folgende Aufgaben- und Fragestellungen:
  • Welchen „Dienstleistungs- und Berufsruf“ haben die Podologen bundesweit, aber auch in der Region beziehungsweise bezogen auf einzelne Praxen? Erst die genaue und zielgerichtete Untersuchung der internen wie externen Wahrnehmung ermöglicht es, defizite und/oder Fehlwahrnehmungen zu erkennen. Eine Stärke-Schwächen-Analyse bietet zudem Möglichkeiten, Strategien der Neuplatzierung des Berufsfeldes anzugehen.
  • Entsprechen Ausbildungswege und -leitbild den Anforderungen derjenigen Personen, die für das Berufsfeld gewonnen werden sollen? Hier gilt es vor allem zu differenzieren, ob junge Schulabgänger, Umsteiger oder Späteinsteiger gewonnen werden sollen.
  • Die Berufs- und Landesverbände, aber auch einzelne podologische Praxen müssen die Attraktivität des Personal- und Ausbildungsrufs steigern. Für junge Menschen gilt es, andere Aspekte in den Vordergrund zu stellen als sie für potenzielle Mitarbeitende mittleren oder höheren Alters relevant  sind.
  • Die Attraktivität des Berufsfeldes und der damit verbundenen Ausbildungen muss zielgruppengerecht kommuniziert werden. So können Mitarbeitende zwar über fachliche Argumente wie Berufschancen, Ausbildungswege, zeitliche Flexibilität bezüglich der Arbeitszeiten etc. erreicht werden. Letztendlich gewinnt und überzeugt man sie jedoch über die emotionale Ansprache. Hier geht es neben der Arbeitsfeldatmosphäre auch um die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit. Erschwert wird dieses Bemühen durch die Abgrenzungstendenzen zwischen den einzelnen Berufsbezeichnungen und -bildern innerhalb der Podologie.

Wege aus der Misere

Vor dem Hintergrund der großen Altersspanne potenzieller Neu- oder Wiedereinsteiger sowie der vielfältigen Beschäftigungsformen (selbstständig, angestellt in Voll- oder Teilzeit, 450-Euro-Basis etc.) sind differenzierte Werbekampagnen und Akquisemaßnahmen notwendig:
 

Empfehlungsmarketing

Das Empfehlungsmarketing basiert auf der Grundannahme, dass Menschen Dinge weiterempfehlen, die sie selbst als positiv kennengelernt haben, und andere Menschen sich wiederum durch Mundpropaganda, Bewertungen oder Referenzen überzeugen lassen.Das lässt sich auf die Podologie übertragen. Bereits beim Small Talk während der podologischen Behandlung können etwa „erste Weichen“ gestellt werden. Wenn die oder der Behandelnde ununterbrochen über die widrigen Verhältnisse in der Branche schimpft und die Schwierigkeiten mit der Krankenkassenabrechnung anprangert, warum sollte die Patientin oder der Patient das Kind oder die Enkel auf die Podologie als mögliches Berufsfeld aufmerksam machen?
 

Digitales Marketing

Wer junge Menschen erreichen will, muss im Internet und in den sozialen Medien werben. Die Websites der Berufsverbände wie auch der einzelnen Praxen sollten daher nicht nur auf die Patientinnen und Patienten ausgerichtet sein.Während auf Instagram eher Schüler und Schulabgänger zu finden sind, tummeln sich die etwas „Älteren“ bei Facebook. Menschen mit konkreten Berufswünschen und dem Bestreben, berufliche Netzwerke aufzubauen, finden sich bei Xing oder LinkedIn. Über Video-Plattformen wie YouTube oder Vimeo lassen sich informative und zielgruppenspezifische Informationsvideos hochladen und verbreiten. Das Internet bietet darüber hinaus die Möglichkeit, gleichaltrige Meinungsbildnerinnen und -bildner im Berufsfeld Podologie zu platzieren. Diese sogenannten Influencerinnen und Influencer vermitteln in einer positiven und zielgruppengerechten Art und Weise Informationen, die die Interessierten neugierig machen und unter Umständen für eine Tätigkeit als Podologin oder Podologe begeistern.

 

Aufsuchendes Marketing

Eine weitere Möglichkeit ist das „aufsuchende“ Marketing. Das heißt, erfahrene und motivierte Podologinnen oder Podologen stellen ihr Berufsfeld zum Beispiel an Schulen oder bei Risikopatientinnen und -patienten vor. Ziel ist es, aufzuzeigen, wie vielfältig und attraktiv das Arbeitsfeld ist. In Schulen oder über Jobcenter können im zudem Praktika angeboten werden. So haben Interessierte die Chance, den Beruf einmal „auszuprobieren“ und den Praxisalltag zu erleben.Bei Tandem- oder Coach-Modellen werden den Neulingen fachkompetente Begleiterinnen oder Begleiter zur Seite gestellt, die dabei helfen, sowohl fachliche als auch sprachliche und sonstige Herausforderungen zu bewältigen. Mit etwas Glück tritt der „Klebeeffekt“ ein und die Interessenten bleiben der Praktikums- oder Ausbildungsstelle treu.
 
Sozialversicherungspflichtige im Bereich der Podologie in den Jahren 2012 bis 2020. Grafik: Statista®
 

Fußgesundheit statt Krankheitsbilder

Nicht nur die Berufsverbände und Podologie-Schulen sind gefragt, wenn es darum geht, die Podologie als attraktiven Beruf mit hoher gesellschaftlicher Relevanz in der Öffentlichkeit darzustellen. Gefordert ist auch jede Podologin und jeder Podologe. Sie alle müssen – idealerweise gemeinsam – daran arbeiten, die „Arbeit an den Füßen“ attraktiv zu machen. Neben der Vielfalt des krisensicheren Berufsfeldes und der vielfältigen Arbeitsfelder gilt es dabei vor allem den Präventionsaspekt und die gesteigerte Lebensqualität der Patientinnen und Patienten in Folge der podologischen Behandlung in den Vordergrund zu stellen.
 
Quellen
Bundesagentur für Arbeit: Beschäftigte nach Berufen (Klassifikation der Berufe 2010), Stand: Dezember 2020. Online unter: https://bit.ly/3hCF5BJ
Statista: Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bereich Podologie in Deutschland in den Jahren von 2012 bis 2020. Online unter: https://bit.ly/2Xn6wc3
 
Autor
Hochschule Fulda
Health Network
Dr. Jan Ries, Sportwissenschaftler
Leipziger Straße 123
36037 Fulda
 
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Foto: Eakrin/Adobe Stock
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